Es ist einige Wochen her, seit die vorgezogenen Wahlen stattgefunden haben. Alle wahlberechtigten Bürger von Deutschland durften zwei Kreuzchen setzen, haben gewählt, die Wahlversprechen der angetretenen Parteien im Hinterkopf. Die Ergebnisse sind bekannt: Neben besorgniserregenden Erfolgen von rechtsnationalen Ideen mussten zwei Parteien ihre Führungsansprüche in die Tonne werfen. Dadurch hat sich der Bundestag glücklicherweise voraussichtlich von 735 Sitzen auf 630 reduziert, macht einige Millionen Euro jährlich weniger für die Steuerzahler (wenn die CDU/CSU mit ihrem Geschacher um Direktmandate im Zaum gehalten werden kann).
Lindner von der FDP ist nun »Privatmann« und das Bündnis Sahra Wagenknecht voraussichtlich in der Versenkung verschwunden. Ist aber nicht weiter schlimm, die üppigen Pensionen liegen für alle aus dem Bundestag Ausgeschiedenen bereit. Und sicherlich winken bereits lukrative Aufsichtsratsämter! Auch die Außenministerin wechselt wohl in einen Top-Job bei den Vereinten Nationen, wenn nicht interne parteiübergreifende Streitereien im Bundestag dies zu verhindern wissen.
Längst haben die Koalitionsverhandlungen zwischen CDU/CSU und SPD begonnen. So werden die vor der Wahl geäußerten Zusagen nicht mehr viel wert sein. Laut Lexikon heißt Demokratie: »Herrschaft des Volkes. Die vom Volk gewählten Abgeordneten vertreten die Interessen des Volkes.« Aber nun kann ein besonderes »Schauspiel« bewundert werden.
So musste noch der alte Bundestag herhalten, um das Grundgesetz zu ändern. Und es hat tatsächlich geklappt. Nachdem einige Jahre die Schuldenbremse das Zauberwort für »Stillstand« war, sind nun historisch hohe Kredite kein Problem mehr, um eine marode Infrastruktur, etwa Verkehrswege und Schulen, zu sanieren.
Auch die Verteidigung durch ein hoffnungslos veraltetes Militär braucht Sondermilliarden. Liebe Angela Merkel: Wie konnte es nur so weit kommen? Wo sind die vielen Milliarden Steuergelder in 16 Jahren hingeflossen.
Ich bin immer wieder erstaunt, woher die in den politischen Führungsriegen Aktiven dieses Selbstbewusstsein hernehmen. Egal, welches Credo in ihrer Partei angesagt war, nach Wahlen wird den Bürgern mit markigen Worten nun eben Vieles einfach anders dargestellt. Auch besitzen manche Mitglieder aus der SPD, die von den Wählerinnen und Wählern regelrecht abgestraft wurden und ein historisch schlechtes Ergebnis erzielten, die Frechheit, weiterhin auf ihre Posten zu bestehen (zum Beispiel die SPD-Vorsitzende).
Wir Kreuzchen abgegebenen Bürger stehen nun ratlos da. Eventuell können wir uns mit der Situation in den USA oder der Türkei trösten. Während in der »größten Demokratie« der Welt gerade sehr vieles diesbezüglich neu geschrieben wird und ein türkischer Präsident ohne Skrupel mit Lügen-geschichten die politische Konkurrenz ins Gefängnis werfen lässt, um seinen autokratischen Führungsstil möglichst lebenslang fortführen zu können, geht es uns doch (noch) gut!
Wir ärgern uns vielleicht über die abgehobenen Eliten, die den Bezug zur Lebensrealität der Masse der Bevölkerung verloren haben und die Milliarden an Steuergeldern gerne als Selbstbedienungsladen betrachten. Immerhin können wir »fast alles« öffentlich sagen! Aber damit etwas ändern?
Astrid Jochens, Pfullingen