Ich bin seit Januar 2024 Bahnpendler, ich gehöre dazu. Um 5.16 Uhr fährt an fünf Tagen die Woche mein Zug am Bahnhof Reutlingen, auf Gleis 1 Richtung Stuttgart ab. Regelmäßig, meist pünktlich, gelegentlich fehlen Wagen. Um diese Uhrzeit ist der Andrang moderat. Dennoch kam es auch zu dieser frühen Stunde schon vor, dass Fahrgäste stehen mussten, weil »Wagen fehlen«.
»Wagen fehlen« – diesen Satzbaustein kenne ich erst seit Januar 2024. Er ist mir in meinem bisherigen Leben noch nirgends begegnet, dennoch hat er in den letzten sechs Monaten einen unfassbaren Stellenwert in meinem Leben eingenommen. Gut, die vergangenen 26 Jahre bin ich mit dem Auto nach Stuttgart gefahren, da gab es keine fehlenden Wagen. Mein Wagen war immer gleich lang. Dies nur am Rande, zurück zum Eigentlichen …
15.56 Uhr, Gleis 8 (manchmal spontan auch Gleis 4) Bad Cannstatt. Jeden Tag und wirklich jeden Tag spannend aufs Neue. Komme ich nach Hause und wenn ja wann und wie? Acht Gleise und wirklich täglich und nahezu auf allen Gleisen haut der Lautsprecher gnadenlos die Ausfälle und Verspätungen raus. Er bittet dann die Fahrgäste freundlich um Verständnis.
Ich kann sagen, in den Gesichtern der Gäste sehe ich, dass keiner der Anwesenden Verständnis hat und ich habe auch keins. Ausfälle, Verspätungen und verkürzte Züge sind an der Tagesordnung. Auch gibt es Kombinationen, verspätete Züge an denen Wagen fehlen oder Züge ohne Wagen, deshalb vielleicht ausgefallen? Die Lokführer appellieren an die Fahrgäste, sie sollen doch bitte auf den nächsten Zug warten, da dieser hier so voll ist, dass die Türen nicht mehr schließen.
Alte Menschen, Menschen mit Einschränkung, Elternteile mit Kinderwagen, Fahrrad-Bahn-Pendler und Menschen, die außer dem Bedürfnis, nach einem langen Arbeitstag nach Hause zu kommen, nichts mit sich führen, sollen draußen bleiben und ihr Glück in einer halben Stunde wieder versuchen. Vielleicht hat der nächste Zug ja keine Wagen verloren.
Bis Januar 2024 dachte ich, dass die Leute übertreiben, Pessimisten, Schwarzmaler, ewige Nörgler, Systemkritiker. Viele Begriffe sind mir immer wieder eingefallen. Nun gehöre ich selbst zu all denen. Nichts von all dem ist übertrieben. Man benötigt sehr viel Geduld, Flexibilität und Leidensfähigkeit, dass man das Auto gegen verkürzte Züge und somit überfüllte Fahrgemeinschaften tauscht.
Nun sollen ich und Tausende andere Mitfahrer auch noch mehr für die Geisterbahnfahrt bezahlen? Die Bahn kommt mit 49 Euro pro Monat pro Fahrgast ohne Zuschuss sicherlich nicht hin. Dennoch bin ich der Meinung, dass es sinnlosere Subventionen gibt. Ich sehe einfach nicht ein, dass wir für die weiter anhaltende miserable Leistung unseres Vertragspartners mehr bezahlen soll.
Um die schlechte Situation zu verbessern, braucht es treue Fahrgäste, die trotz all der anhaltenden Nachteile sich weiter dem Abenteuer Bahn hingeben. Und Wlan gibt es auch keins. Aus den oben genannten Gründen sage ich ganz klar Nein zu einer Preiserhöhung des Deutschlandticket.
Dietmar Häbich, Wannweil