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Aktuell Leserbrief

»Subvention an die Wirtschaft«

Zum Artikel »Was bedeuten 15 Euro Mindestlohn?« vom 15. März (per E-Mail)

Vielen Dank für den ausführlichen und umfassenden Bericht zum Thema Mindestlohn im GEA vom 15. März. Gerne möchte ich einen Punkt, den ich für einen sehr bedeutenden in dieser Frage halte, hinzustellen. Unser Mindestlohn in der Bundesrepublik Deutschland zeigt sich in der Weise kontraproduktiv, als dass bei einer 40-Stunden-Woche letztendlich das Nettogehalt kaum ausreicht, das Leben zu bestreiten. Je nach Umständen (zum Beispiel Alleinerziehende mit Kind) wird eine staatliche Unterstützung unumgänglich sein. Besonders aber ist dramatisch, dass die Mindestlohnempfänger am Ende eine Rente erhalten, die ein Leben ohne weitere staatliche Unterstützung nicht möglich macht. Damit ist das Konzept »von der Arbeit soll man leben können« im deutschen Wirtschaftssystem nicht gewährleistet.

Zu einem gesunden Kreislauf gehört, dass jeder, der (voll) arbeitet oder gearbeitet hat, davon leben kann. Dazu muss auch gewährleistet sein, dass das System Mindestlohn mit Blick auf die Rente gesehen kein Zuschussbetrieb wird. Somit ist unser jetziger Mindestlohn eine Subvention des Staates an die deutsche Wirtschaft, der mit Steuermitteln gegenfinanziert werden muss.

Im Übrigen sind Verfechter des niedrigen Mindestlohnes in der Regel Menschen in Gehalts- oder Vermögenspositionen, die keine Vorstellung davon haben, wie man mit einem Monatsbudget eines Menschen mit Mindestlohn leben kann oder soll.

Der Mindestlohn ist vielleicht eine »humane« Form der Sklaverei (Brockhaus: die völlige rechtliche und wirtschaftliche Abhängigkeit eines Menschen). Wie seinerzeit durch Kost und Logis wird heute mit dem Mindestlohn dafür gesorgt, dass die Arbeitskraft »erhalten« bleibt und dem Wirtschaftssystem zur Verfügung steht. Schon Bismarck hat die Sozialgesetzgebung aus politischem Kalkül und nicht als Menschenfreund eingeführt.

Ein besonderer Vorzug heutzutage ist, die »völlige« Abhängigkeit scheint aufgehoben, man kann ja schließlich klagen oder ablehnen.

Fazit: Die ersten Sätze heutigen Journalismus’ schüren gerne Ängste – der Haarschnitt oder Restaurantbesuch wird teurer. So ist stets der Blick auf sich selbst gelenkt. Heben wir einmal die Augen, erweitert sich durchaus der Blick aufs Ganze und wir erkennen etwas deutlicher die erweiterten Folgen: Wenn ich ins Restaurant oder zum Friseur gehe, möchte ich, dass diese Dienstleister auch (gut) davon leben können, dann bezahle ich in Anerkennung ihrer Dienste auch etwas mehr und spare mittelfristig an Steuern, da die Sozialausgaben des Staates rückläufiger werden.

 

Christian Lorenzoni, Reutlingen