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Aktuell Leserbrief

»Sprache ist verräterisch«

Diskussion um das »Zustrombegrenzungsgesetz« (per E-Mail)

Eigentlich müsste die Meldung vom vorvergangenen Freitag doch lauten: Bundestag lehnt mehrheitlich das von der Christlich (!) Demokratischen Union eingebrachte Menschenzurückweisungsgesetz ab. Unsere christlichen Wahlkreisabgeordneten aus CDU und FDP, aber auch die Abgeordnete des BSW haben dem euphemistisch verblümten sogenannten »Zustrombegrenzungsgesetz« und einem Entschließungsantrag der Union zugestimmt, nach dem Schutz suchende Menschen bereits an der deutschen Grenze zurückgewiesen werden sollen. Dabei fällt mir die beliebte Szene aus Krippenspielen ein, in der ein dicker Wirt Maria und Joseph bei der Herbergssuche in Bethlehem abweist.

Sprache ist verräterisch. Mit Begriffen wie »Asylantenflut« hat unsere Gesellschaft in den letzten Jahren damit begonnen, die Terminologie für Bäche, Flüsse und Ströme auf Menschen anzuwenden. Da werden also lebendige Menschen – viele von ihnen traumatisiert aufgrund von Krieg und Bürgerkrieg in ihrer Heimat – zu Elementen einer »Flut«, die Deutschland »überschwemmt«. Offensichtlich sind der Kanzlerkandidat der CDU und die meisten Abgeordneten aus CDU/CSU, FDP und AfD von dieser Terminologie infiziert, indem sie versucht haben, dieses »Menschenzurückweisungsgesetz« als »Zu-strombegrenzungsgesetz« auf den Weg zu bringen.

Damit wurde suggeriert, dass die Umsetzung eines solchen Gesetzes Attentate und Massaker wie in Magdeburg und Aschaffenburg verhindern könnte, und bei den Menschen entstehen damit verbundene Bilder von einer Art Flutkatastrophe, die schuld sei an solchen furchtbaren Verbrechen. Flüchtlinge und Migranten werden dadurch pauschal für diese Tragödien haftbar gemacht.

Denkt eigentlich jemand darüber nach, wie dies auf die betroffenen Menschen wirkt? Wer aber Lösungen in einer falschen Richtung sucht, verbaut sich gleichzeitig die richtige Richtung: Sowohl der Täter von Magdeburg als auch der Täter von Aschaffenburg sind psychisch kranke Menschen. Deren Krankheit hatte zunächst nichts mit ihrem Status als Ausländer zu tun. Auch der Täter, der vor zehn Jahren ein Germanwings-Flugzeug mit 149 Personen in den französischen Alpen abstürzen ließ, oder der Amokläufer in Winnenden, der 2009 mit der Waffe seines Vaters 15 Menschen und sich selbst tötete, waren psychisch kranke Menschen. Beide waren Deutsche.

Was in all diesen Fällen nicht funktioniert hatte, war die Kommunikation zwischen Ärzten und Behörden in Bund, Ländern und Kommunen. Man kann keine Krankheit mit der falschen Medizin bekämpfen. Auch wenn die Stimmung in der Gesellschaft sich gegen Flüchtlinge gewendet hat, ist es doch die Aufgabe verantwortlicher Politik, die wirklichen Motive und Hintergründe von Gewalttaten zu erforschen und geeignete Maßnahmen zu suchen, statt mit falschen Diagnosen und Symbolpolitik Wahlkampf auf Kosten zugewanderter Mitbürger zu machen. Es werden so Erwartungen geweckt, die gar nicht erfüllt werden können. Das Vertrauen in die Politik schwindet dadurch aber nur noch mehr. Eine sinnvolle und lösungsorientierte Diskussion der Zuwanderung im Bundestag kann bis nach der Wahl warten und muss sich an den Maßstäben des Grundgesetzes und der Europäischen Menschenrechtskonvention orientieren.

Wenn man aus solchen furchtbaren Katastrophen etwas lernen sollte, dann doch zu analysieren, wo die Probleme wirklich liegen, statt mit solchen sprachlichen Entgleisungen Scheinlösungen zu suggerieren, die Mitmenschen ausgrenzen, die Gesellschaft weiter spalten, Ängste und weiteren Hass untereinander säen.

 

Traugott Huppenbauer, Reutlingen