Ich bin dem Aufruf der Gegenveranstalter gefolgt und war um 13.30 Uhr an der Stadthalle. Kurz darauf setzte sich ein Großteil der Demonstranten in Bewegung Richtung Tübinger Straße. Die Straßen waren für den Verkehr gesperrt, die Seitenstraßen abgeriegelt. Mir kam der Verdacht, dass das vermutlich die geplante, vorab nicht veröffentlichte Route von »Gemeinsam für Deutschland« (GfD) sein könnte.
In etwa auf Höhe der Kreissparkasse stoppte die Polizei den Demozug, um ein Zusammentreffen der beiden Veranstaltungen zu verhindern. Langsam sickerte bei der Gegendemo durch, dass die Hunderte Menschen somit einem Umzug der Rechten in die Innenstadt im Weg standen. Ziel eins war erreicht.
Zu zweit machten wir uns auf den Weg zur Veranstaltung auf Bösmannsäcker. Ich wollte wissen, für was die Menschen stehen, die da demonstrieren. Es wehten einige Deutschlandfahnen, eine schwarze Fahne mit »n’Scheiß …« und ein blaues Meer von Friedenstauben. Ich dachte, ich sehe nicht recht. Picasso hätte sich im Grab umgedreht. Und Sophie Scholl.
Viele Teilnehmende trugen einen knapp DIN A4-großen Karton um den Hals gehängt mit Zitaten von Sophie Scholl aus der Widerstandsgruppe Weiße Rose in der NS-Diktatur. Mir wurde ein entsprechendes Flugblatt angeboten mit dem Hinweis »also können wir ja nicht schlimm sein, wie behauptet wird«. Und ob!
Seit den 90er-Jahren wird das Gedankengut der Widerstandskämpferin von rechten Parteien missbraucht. Da engagierte sich ein Kreis um Susanne Zeller-Hirzel, eine frühere Weggefährtin von Sophie Scholl, in der Partei Die Republikaner, die unter rechtsextremem Verdacht stand.
2017 warb die AfD mit einem Wahlplakat »Sophie Scholl würde AfD wählen«. In München gründete sich später durch Pegida-Gruppierungen die »Neue Weiße Rose«. Die Sophie-Scholl-Stiftung distanziert sich vehement. Vor ein paar Jahren bekam ich – warum auch immer – Post mit dem Absender »Neue Weiße Rose« Ulm, München. In all dem Geschwurbel steht die Warnung vor einem weltweiten Terrornetzwerk mit Hauptsitz in Riad, »der Obersalzberg« von heute. Die dortige »Barbarei« will »Europa in einen Bürgerkrieg führen«.
Die »Neue Weiße Rose« ist keinesfalls eine Friedensbewegung. Sie steht bestenfalls für Freiheit und Frieden für weiße Christen! Sie sind die Guten, die Anderen und speziell Muslime die Bösen. Ein Gründungsmitglied ist Michael Stürzenberger. Er wurde vom Bayrischen Verfassungsschutz von 2013 bis 2022 im Kapitel »Verfassungsschutzrelevante Islamfeindlichkeit« geführt und tourt für »Pax Europa« mit demagogischen Auftritten gegen den Islam durch die Lande. Ich frage mich, wissen die Demonstrierenden das oder laufen sie wie Schafe dem Wolf im Schafspelz nach?
Die geplante Demo-Route der GfD wurde Richtung Betzingen verlegt. Einige Männer kamen auf die Tübinger Straße und machten ihrem Unmut Luft: »Die« haben uns außerhalb der Stadt einen Platz zugewiesen. So hatten sie wieder ihre Opferrolle. Und sie fragten sich, warum – mit Blick auf die Gegendemonstranten weiter oben – hier niemand aufräumt. Ein Kommentar dazu wurde mit »Halt’s Maul« erwidert.
Und dann kamen Männer im Anzug dazu, im Knopfloch eine weiße Rose oder eine langstielige vor sich hertragend. Ich kam mir vor wie im falschen Film. Irgendwann war auch klar, dass »wir« nicht dazugehören.
Ich sehe, wie zwei smarte Jungs aus gutbürgerlichem Haus uns fotografieren. Die Handyoberfläche war weiß-rot und trug den Schriftzug »NS-Zone«.
Susanne Sauer, Bad Urach