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Aktuell Leserbrief

»Schneller, härter, schärfer?«

Aktuelle Migrationsdebatte (per E-Mail)

Der Unterbietungswettbewerb in Sachen Asyl hat mit den Forderungen von CDU-Chef Merz einen nicht zu überbietenden Höhepunkt erreicht: Alle Migrantinnen und Migranten ohne Berechtigung zur Einreise sollen an deutschen Grenzen zurückgewiesen werden. Nicht nur Viktor Orban klatscht Beifall. Auch die AfD darf sich freuen, dass ihre menschenverachtende Position nach dem schrecklichen Messerangriff in Solingen und vor den Wahlen in Brandenburg Eingang ins »bürgerliche Lager« gefunden hat. Dass Menschenrechte bei diesen Forderungen und Überlegungen auf der Strecke bleiben, hat Stefan Lange (GEA-Kommentar, 11. September) zurecht angemerkt. Diese Flucht in den Populismus aus Angst vor den Wählern ist gefährlich und Wasser auf die Mühlen der AfD.

Populistische Behauptungen und Forderungen produzieren massive Unzufriedenheit und Politikverdrossenheit, weil hier falsche und unrealistische Erwartungen geweckt werden. Sie verstellen den Blick auf eine komplexe und vielschichtige Problemlage, weil sie so tun, als ob es schnelle und einfache Lösungen gebe. Die Messerattacke in Solingen macht das deutlich. Der junge syrische Attentäter hat sich offensichtlich im Netz radikalisiert und wurde zum Mittäter eines menschenverachtenden Islamismus und Antisemitismus. Dieser weltweit vernetzte Islamismus nutzt die Gunst der Stunde und versucht junge Muslime, die mit der Hamas im Gazakrieg sympathisieren, zu Gewalt anzustacheln.

Damit werden drei Faktoren deutlich, die maßgeblich zum Attentat geführt haben: ein grausamer Krieg, der durch islamistische Brutalität der Hamas ausgelöst wurde und auf den Israel mit einem Übermaß an Gewalt gegenüber der Zivilbevölkerung reagiert. Ein in großen Teilen rechtsfreier Raum im Netz, der Selbstradikalisierung erst ermöglicht und gegen den wir viel mehr unternehmen müssen. Und ein Islamismus und Antisemitismus in Deutschland, gegen den viel entschiedener eingeschritten werden muss – von der ganzen Gesellschaft.

Natürlich hätte das Attentat durch eine zeitnahe Abschiebung verhindert werden können. Natürlich müssen kriminelle Flüchtlinge konsequenter abgeschoben werden. Aber wie kann man jetzt so tun, als ob die Zurückweisung aller Asylsuchenden die Lösung für diese mit dem Messerattentat sichtbar gewordene Problematik sei? Hier werden Menschen, die Opfer dieses Islamismus sind und deshalb Schutz in Deutschland suchen, mitverantwortlich gemacht für die Gewalt in Deutschland. Durch die hoch problematische Rede von einer notwendigen »Migrationswende« werden alle Migranten in Mithaftung genommen. Auch die, die schon lange hier sind oder als Arbeitskräfte dringend gebraucht werden.

Es ist eine Illusion, dass wir uns vor der Bedrohung durch ideologisch motivierte Gewalt mit Abschottung schützen können. Das geht nur in einem totalitären Staat wie Russland. Das geht nur, wenn wir bereit sind, dafür die europäische Solidarität zu opfern. Und es geht nur, wenn wir die Menschenrechte als Grundlage unserer freiheitlich rechtlichen Grundordnung und der europäischen Staatengemeinschaft faktisch außer Kraft setzen. Wollen wir das? Wir als Bündnis für Menschenrechte sind überzeugt, dass die besten und nachhaltigsten Lösungsansätze für die großen Herausforderungen unserer Zeit diejenigen sind, die die Menschenrechte ernst nehmen.

 

Ulrich Högel, Christian Lawan, Verena Nerz, Cornelie Pflüger und Dr. Joachim Rückle, Sprecher des Bündnis für Menschenrechte, Reutlingen