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Aktuell Leserbrief

»Ringen um gemeinsame, europäische Lösung«

Migration (per E-Mail)

Was ist nur mit Deutschland los? Vor einiger Zeit gab es bei uns einmal eine Willkommenskultur. Die ist inzwischen ins Gegenteil umgeschlagen. Von Asylanten wird nur noch als einer Problemgruppe, als unerträglicher Belastung der Gesellschaft gesprochen. Es wird nur noch über »Abschiebung«, »Ausweisung«, »Rückführung« geredet oder »die Flüchtlinge sollten gar nicht erst ins Land gelassen werden«. Und zwar alle ausnahmslos ohne Ansehen der Person und der besonderen Umstände ihres Asylbegehrens. All diese Forderungen werden erhoben gegen geltendes Recht und Gesetz. Weder das deutsche Asylrecht noch europäisches Recht oder die »Genfer Flüchtlingskonvention« sollen eingehalten werden.

Zugegeben, die irreguläre Zuwanderung von Flüchtlingen stellt eine riesige Herausforderung für unser Land, die Landkreise und Kommunen dar. Dank der Europäischen Asylreform ist aber die Zuwanderung bereits merklich zurückgegangen. Und drei Viertel der Kommunen haben gute Lösungen gefunden. Das Lamento aber ist konstant geblieben. Nur hat weder der Arbeitskräftemangel noch haben die hohen Energiepreise, die Wachstumsprobleme der Wirtschaft oder die fehlenden Wohnungen mit den Asylanten zu tun. Selbst die Klagen über Überforderung von Schulen und Kindergärten sind nur teilweise den Asylanten anzulasten. Die Hauptländer, aus denen Asylanten derzeit zu uns kommen, sind Syrien, Afghanistan und Türkei. Von dort kommen mehrheitlich (junge) Männer. Es sind Kinder aus der Ukraine, die mit ihren Müttern vor dem Krieg zu uns geflohen sind, die unsere Bildungseinrichtungen besuchen. Sollen wir sie, weil unsere Schulen und Kindergärten stark herausgefordert sind, in die Ukraine zurückschicken?

Die Aufzählung aller Sorgen und Ängste der Bürger: Die Furcht vor Krieg, vor sozialem Abstieg, die Klage über steigende Lebenshaltungskosten, die Furcht vor Überfemdung, steigender Kriminalität, die Sorge um bezahlbarem Wohnraum werden von rechten Parteien an die Regierung adressiert, die angeblich untätig ist und nicht auf die Nöte der Bürger hört. »Die Mutter aller Probleme« aber, so die AfD, sind die Flüchtlinge, ist die ungeregelte Migration. Dieses Schüren ist aber das eigentliche »Geschäftsmodell« der Rechten. Damit treiben sie die »etablierten Parteien« vor sich her, die an Verschärfungsmaßnahmen arbeiten.

Jetzt wird gefordert, die Grenzen sofort zu schließen nach dem »Vorbild« Dänemarks. Andere europäische Länder werden umgehend folgen. Nebenbei wird dadurch die Freizügigkeit im Schengen-Raum aufgegeben und damit eine Errungenschaft der Europäischen Union. Das größte friedenspolitische Projekt der letzten 80 Jahre, die Schaffung der EU, wird dadurch weiter zerbröselt. Und das Schlimmste – es hilft nicht. Die Asylanten werden weiter nach Europa streben und überall werden sie vor verschlossenen Türen stehen! Was dann?

Ein anderer Vorschlag lautet, zumindest den Geflüchteten, die über ein anderes EU-Land eingereist sind, sollen sämtliche Sozialleistungen gestrichen werden. Es ist richtig, dass nach den Dublin-Regeln der Flüchtling da seinen Asylantrag stellen muss, wo er den Boden eines EU-Landes betritt. Nur, diese Regel wird ständig gebrochen! Wir haben inzwischen 150.000 Asylanten bei uns, die über ein EU-Land eingereist sind. 5.000 von ihnen konnten in ihr Eintrittsland zurückgeschickt werden. Die Übrigen sind da, weil die EU-Eintrittsländer sie nicht zurücknehmen. Da hilft natürlich nur, die Sozialleistungen zu streichen …

Ich denke, es wäre an der Zeit, mit mehr Gelassenheit die Situation zu betrachten, im Sinne des Merkel-Satzes »Wir schaffen das«. Wir können es in der Tat schaffen, nicht in nationalen Alleingängen, nicht gegen die Europäische Union, sondern nur mit ihr. Nur im ständigen Ringen um gemeinsame europäische Lösungen, um die sich die Bundesregierung, um die sich der Kanzler seit Langem intensiv bemüht, werden wir am Ende Erfolg haben. Nur so können faire, rechtssichere, dauerhafte Lösungen gefunden werden.

 

Dieter Mutschler, Reutlingen