Eine kleine Notiz auf der ersten Seite des GEA vom 2. Dezember zitiert den ehemaligen israelischen Verteidigungsminister Jaalon, der seiner eigenen Regierung eine »ethnische Säuberung« im Gazastreifen vorwirft und dies mit »angeblichen Plänen Israels« zur Vertreibung der palästinensischen Einwohner des nördlichen Gazastreifens begründet. Der Mann dürfte darüber sicher besser Bescheid wissen als die deutsche Öffentlichkeit.
Stellen wir uns einmal vor, welcher Shitstorm auf deutsche Politikerinnen und Politiker einprasseln würde, wenn sie die Kriegsführung Israels mit denselben Worten als »ethnische Säuberung« oder »Kriegsverbrechen« brandmarken würden, womit neulich auch der Internationale Gerichtshof seine Haftbefehle gegen Ministerpräsident Netanjahu und dessen ehemaligen Verteidigungsminister Gallant begründet hat. Aus Sorge, dass dies als »israelbezogener Antisemitismus« gewertet werden könnte, trauen sich hierzulande viele Politikerinnen und Politiker kaum noch, die schonungslose Kriegsführung des engen Verbündeten Israel als »Verbrechen« zu werten. Umgekehrt unterstützt Deutschland Israels Kriege mit verstärkten Waffenlieferungen und macht sich damit mitverantwortlich.
Selbstverständlich hat Israel nach dem menschenverachtenden Terrorangriff der Hamas und dem Raketenbeschuss durch die Hisbollah das Recht und die Pflicht, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen und die Sicherheit der eigenen Bevölkerung zu gewährleisten. Aber die rechtsnationalistische Netanjahu-Regierung verspielt mit der wahllosen Tötung von Zivilisten (»Kollateralschäden«?) und der systematischen Zerstörung der Infrastruktur unter dem Vorwand der Terrorbekämpfung ihre eigene Glaubwürdigkeit. Wenn nicht einmal humanitäre Hilfsorganisationen und Versorgungsfahrzeuge vor Angriffen geschützt sind, nimmt diese Regierung Hunger und Tod der Schwächsten bewusst in Kauf. Opfer dieser Kriegsstrategie sind nicht zuletzt die noch lebenden israelischen Geiseln in Gaza, die seit 14 Monaten dem Hamas-Terror ausgeliefert sind.
Mit der Verurteilung der israelischen Angriffe im Gazastreifen und im Libanon, die bereits Zehntausende Menschen, davon mehrheitlich Frauen und Kinder, das Leben kostete, tut sich Deutschland aus historischen Gründen schwer. Allerdings sollte man gerade hier unterscheiden zwischen dem legitimen Recht auf Selbstverteidigung eines Landes und dem Missbrauch dieses Rechts für viel weiterreichende Kriegsziele wie die Vertreibung der palästinensischen Bevölkerung aus ihrer Heimat.
Schlimmer ist es noch, wenn nationalreligiöse Politiker und Siedler in Israel den im Schatten des Krieges fortgesetzten gewaltsamen Landraub im Westjordanland mit Verweis auf »biblische Verheißungen« rechtfertigen. Israelische Freunde von mir und Juden in der ganzen Welt protestieren seit einem Jahr gegen die Kriegspolitik Netanjahus, weil sie gerade nicht dem Frieden und der Sicherheit dieses kleinen Landes dient, sondern nur neue Terroristen hervorbringt. »Antisemitisch« ist dies sicher nicht. Der Vorwurf des Antisemitismus trifft allerdings dort zu, wo Juden allgemein für die Kriegsverbrechen der aktuellen – leider mehrheitlich gewählten – Regierung Israels haftbar gemacht werden.
Traugott Huppenbauer, Reutlingen