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Aktuell Leserbrief

»Rückgrat der Mobilität mit Bandscheibenvorfall?«

Regionalstadtbahn: Gomaringer Spange in Betzingen (per E-Mail)

Die Regionalstadtbahn soll in Zukunft die zentrale Säule des Nahverkehrs in unserer Region sein, das Rückgrat eines starken Mobilitätsverbundes, so der Tenor einer Broschüre des Zweckverbandes Regional-Stadtbahn Neckar-Alb. Bei der vorläufigen Vorzugstrasse der Gomaringer Spange durch Betzingen, die öffentlich vorgestellt wurde, könnte man meinen, der größte Ortsteil Reutlingens mit rund 11.400 Einwohnern gehöre hier nicht dazu. Als Erstes fällt auf, dass die Vorgaben, bei einer vorläufigen Vorzugsvariante eine Alternative zu haben, für Betzingen nicht gilt. Die von den Planern als Alternative bezeichnete Variante besteht in einer unterschiedlichen Brückenführung in der Nähe des Gaskessels. Reine Bahntechnik, die mit einer echten Alternative für Betzingen nichts zu tun hat.

Betrachtet man die Ergebnisse weiter, so ist festzustellen, dass die Gomaringer Spange nicht – wie von vielen Einwohnern inklusive Bezirksgemeinderat gewünscht und erhofft – über den Betzinger Bahnhof als Mobilitätspunkt führt. Stattdessen verläuft die Strecke auf der alten Trasse der Gönninger Bahn, fernab vom Zentrum mit einem einzigen Haltepunkt am Ortsrand von Betzingen in Sportplatznähe. Damit wird die Chance verpasst, den Mobilitätspunkt am Betzinger Bahnhof durch Vernetzung von zwei Stadtbahnlinien zu stärken und dadurch mehr Menschen auf die Schiene zu bringen. Eine unmittelbare Vernetzung der Stadtbahnen in Betzingen ist nicht vorgesehen – der Umstieg von der einen auf die andere Linie muss durch Busse oder zu Fuß überbrückt werden, was Zeit und Nerven kostet. Fahrgästen, die aus Gomaringen oder Ohmenhausen kommen, wird die Möglichkeit genommen, in Betzingen am Mobilitätspunkt nach Tübingen umzusteigen; stattdessen müssen sie weiter Richtung Stadtmitte fahren und längere Wege und Fahrzeiten in Kauf nehmen – das gilt auch für Fahrende aus Wannweil und Kirchentellinsfurt, wenn sie auf die Gomaringer Spange umsteigen möchten. Es ist nicht nachvollziehbar, wo hierin die Attraktivität liegen soll, um diese Verkehrsmittel zu nutzen.

Wie sollen Menschen für die Bahn begeistert werden, wenn die Planer und nicht die Menschen, die mit der Bahn fahren sollen, im Mittelpunkt stehen? Die Planer sind irgendwann weg, die Menschen weiterhin da – und die Züge bei dieser Streckenführung leer. Das Ziel, mehr Menschen auf die Bahn zu bringen, wird somit verpasst.

Während der Bürgerbeteiligung für die Regionalstadtbahn wurden die Menschen in die Planung miteinbezogen, Anregungen gesammelt. Es ist jetzt festzustellen, dass gute, praktikable Vorschläge bei der Planung nicht auftauchen – Ideen von Bürgern, die aufgenommen wurden, werden seitens des Zweckverbandes weggeredet: So wird als ein Grund gegen eine Führung der Gomaringer Spange über den Mobilitätspunkt argumentiert, dass die »Fliehkräfte« der Straßenbahn die dortige Breitenbach-Brücke wegschieben, was technisch fragwürdig ist. Oder dass ein Hausabriss gegen die Streckenführung über die Wildermuth-Siedlung spricht – dass es jedoch auf der Strecke Alternativen ohne Abriss gibt, bleibt unberücksichtigt. Fragen bleiben offen.

Möglicherweise hat das zukünftige Rückgrat der Mobilität in der Region schon in der Vorplanungsphase einen Bandscheibenvorfall erlitten, zumindest was Betzingen betrifft. Wenn Betzingen einen echten Nutzen von der Trasse haben soll, dann geht an der Führung der Gomaringer Spange über den Betzinger Bahnhof als Mobilitätspunkt kein Weg vorbei. Seit Beginn der Planung hat sich viel verändert: Corona, Homeoffice, wirtschaftliche und demografische Entwicklungen lassen die Fahrgastzahlen sinken; deshalb ist zu überlegen, ob die Schiene als relativ starres und teures Verkehrsmittel in der jetzigen Form für unsere Region überhaupt zukunftsfähig ist oder ein teures Massengrab wird. Andere Länder sind, was die Mobilität der Zukunft anbelangt, wesentlich weiter.

 

Alexandra Nestel, Reutlingen