Grundsteuerreform und Haushaltsloch – der Schuldige ist schnell gefunden. Da macht man es sich aber einfach im Reutlinger Rathaus! Die CDU beziehungsweise die Landesregierung hat es verbockt. Das ist die Meinung der Mehrheit im Reutlinger Gemeinderat. Deshalb genehmigt sich die Stadt samt Gemeinderat zulasten der Bürger unter anderem einen höheren Grundsteuerhebesatz als den vom Finanzministerium errechneten. Dabei wird gerne verschwiegen, dass der Grundsteuerhebesatz 2022, also vor der Reform, bereits der höchste im Landkreis war. Auf den aufkommensneutral errechneten maximalen Hebesatz von 306 Prozent abzusenken, ist laut Reutlingens Kämmerer unmöglich, weil ihm dann weitere 2,4 Millionen Euro in der Kasse fehlen würden. Bei einem Haushaltsvolumen von rund 450 Millionen Euro wären das stolze 0,53 Prozent. Also bitte!
Meine Grundsteuer erhöht sich um lediglich 600 Prozent. So viel kann eine alte Frau nicht versparen! Die Bürgerinnen und Bürger in den Stadtrandgebieten und den 12 Bezirksgemeinden, die aufgrund ihres ländlichen Charakters und der gewachsenen Bebauung mit den vorhandenen Grundstücksgrößen nun mit einer überhöhten Grundsteuer belastet werden sollen, sind dabei die Leidtragenden. Das betrifft über 60 Prozent der Bürger/Wähler. Auch beim generellen Loch in der Stadtkasse fehlen plötzlich 13 Millionen Euro, weil die Stadt unter anderem nach den neuesten Steuerschätzungen weniger Schlüsselzuweisungen vom Land erhält als verplant. Schlüsselzuweisungen sind Gelder vom Land, die im Rahmen des kommunalen Finanzausgleichs an die Kommunen fließen; und das kam urplötzlich und nicht vorhersehbar. Wie bitte? Übrigens: Fehlende 13 Millionen Euro klingen viel, sind aber gemessen am Gesamtbudget gerade mal 2,9 Prozent.
Da kommt man doch ins Grübeln, wenn im Rathaus die gesamtwirtschaftliche Lage in »the Länd« und im Bund bei den Planungen der Stadt anscheinend unbekannte Größen sind. Man könnte auch meinen, dass Begriffe wie ifo-Index, Indizes zum Wirtschaftswachstum, Rezession, Inflation, Energiepreise, Lohnsteigerungen und so weiter bei der Haushaltsplanung und den unterjährigen Plan-Ist-Vergleichen anscheinend ignoriert werden. Ein täglicher Blick auf die Titelseite und Wirtschaftsteil des Reutlinger General-Anzeigers wäre hier sicherlich sehr hilfreich. Wobei die Realität doch irgendwie bekannt sein muss, denn der Gemeinderat hat die Festsetzung der neuen unausweichlich drastisch höheren Gebühren der Stadtentwässerung (SER) wegen immensen Kostensteigerungen erst im vergangenen November beschlossen. Ganz nebenbei steigt die durchschnittliche Mehrbelastung für einen Vier-Personen-Haushalt jährlich um nur 22,7 Prozent.
Also sparen, aber wo? Unser Finanzbürgermeister hat da wohl keine Idee. Da genügt zum Beispiel ein Blick in den Beteiligungsbericht der Stadt Reutlingen. Dort findet man unter anderem eine Non-Profit-Gesellschaft, die Millionen für Belange der Innenstadt verschleudert. Da braucht es einen neuen Fußgängersteg für 1,3 Millionen Euro über die Echaz am Lindachknoten. Da leistet man sich Betriebsdienste mit einer technischen und personellen Ausstattung vom Feinsten. Statt immer nur an der Steuerschraube zu drehen, lieber Gemeinderat, könnte man auch mal an der Kostenschraube drehen – und zwar in Richtung Senkung.
So wie es andernorts praktiziert wird, in Tübingen, wo es eine Streichliste vom dortigen OB Palmer mit 230 Maßnahmen zur Haushaltskonsolidierung gibt. Der kann’s halt! Und unser OB? »Er bedauert.« Liebe Gemeinderäte und Stadtväter, »wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen um sich werfen« – oder anders ausgedrückt: So kann man Reutlingen nicht lieben!
Wolfgang Lenk, Degerschlacht