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Aktuell Leserbrief

»Lach doch mal wieder, Deutschland«

Stimmungslage (per E-Mail)

Wenn man morgens aus dem Haus geht, kommt man sich wie in einem Netflix-Zombie-Apokalypse-Film vor. Überall mürrische, verzogene Gesichter, die man besser nicht ansprechen sollte, weil sonst Hund und Herrchen durch Blicke aufgefressen werden. Dann ab ins Auto und zur Arbeit. Links, rechts, wenn es ginge, von oben und unten, wird man überholt, ohne Richtungszeiger, mit einer rasenden Geschwindigkeit die sich nach 20 Meter beinahe bei 5 km/h Schrittgeschwindigkeit einpendelt, weil man niemand vor sich rein lassen will – weswegen ein Stau verursacht wird. Alle sollen davon was haben, gelebtes Gleichheitsprinzip.

Wenn schon im Stau, dann Nachrichten hören. Nach wenigen Sekunden tiefes Bedauern – keine guten News: Die Welt geht unter, regional, national, brachial. Und der sagt dieses, die sagt jenes, Konflikt vorprogrammiert und irgendjemand sagt irgendwas, muss noch nicht einmal der Sache dienlich sein. Hauptsache gehört werden und reden, wie es en vogue (nicht zu verwechseln mit woke) ist. Lost im Radiowellenbereich und es fängt an zu regnen und man fragt den lieben Gott, obwohl Agnostiker, ob der Stau sich irgendwann in Wohlgefallen auflöst und es besser werden wird – ein dumpfes Donnergrollen als Antwort. Oh Deutschland, du kannst so hässlich am Morgen sein, wieso beneidet dich alle Welt deswegen? Wegen deiner Staatsform? Es wollen diese doch viele abgeschafft haben. Es soll Länder geben, die durch einen starken Mann (durchschnittlich 1,70 Meter Größe, 80 Kilogramm) stark gemacht werden – warum nicht eine Reise mit einem Einwegticket dorthin buchen?

Ach so, man hat Reisepläne in den Süden (wer reist schon gerne in den Osten), wo es warm und sonnig ist und man für sein Geld All-was-ich-essen-kann-bis-ich-platze-inclusive gebucht hat. In den Staaten mit den starken Männern gibt es Sportprogramme in Lagern, allerdings ist das Essen dort schlecht und der Service lässt wirklich zu wünschen übrig. Ach ja, das Leben trägt schon schwer, vor allem mit dem eigenen Gewicht. Warum nicht mal wieder lachen und darüber nachdenken, wie gut man es eigentlich hat – bei regelmäßigen Zahnarztbesuchen sollte das doch möglich sein. Die übergreifende deutsche Kultur scheint darin zu bestehen, vielleicht sind wir uns da alle einig, zu maulen, kritisieren, fluchen, beschimpfen und bei Bedarf auch mal übergriffig zu werden. Lehnt euch doch gelegentlich zurück, denkt mal darüber nach, was das Leben lebenswert macht (nicht bei Google suchen) und wie gut wir es doch im Land der Dichter (werden weniger, in der Regel Rapper) und Denker (übernimmt nun die KI) haben.

Ach, übrigens, der tägliche Stau hat sich aufgelöst und man ist mit Verspätung noch bei der Arbeit angekommen – und keine Überraschung: mürrische und verzogene Gesichter überall, herrlich!

 

Hans Martin Prill, Reutlingen