Es gibt Zeitungsmeldungen, bei denen man sich vorkommt wie im falschen Film. So im GEA am 29. März der Artikel »Militärische Themen nehmen zu« mit der Dachzeile »Welche Rolle die Industrie- und Handelskammer im strategischen Konzept der Nato spielt«. Gerade so, als ginge es um Fortbildungs- oder Ausbildungsinitiativen, erzählt der IHK-Hauptgeschäftsführer, wie die IHK Reutlingen derzeit im Begriff sei, sich an den Rüstungs- und Kriegsmodus anzupassen. Das Ziel: ein möglichst großes Stück vom Rüstungskuchen.
Denn die beschlossenen Milliardenschulden für die Aufrüstung der Bundeswehr böten Firmen in den kommenden Jahren »etliche Chancen«. Schließlich brauche man – egal, ob Lastwagen, Raketen oder Komponenten für Drohnen gebaut werden – immer Metall, erklärt er den Metallverarbeitern der Region.
Des Weiteren stellt er neue Geschäftsmodelle und Absatzmärkte sowie »Rüstungs- statt Autoteile« und ein »krisensicheres Geschäft« auf Jahre hinaus in Aussicht. Denn immerhin gäbe es ja noch Taiwan, Georgien oder das Baltikum, falls es in der Ukraine (dummerweise?) zu einem zu frühen Kriegsende käme. Vorausschauend haben sich deshalb die baden-württembergischen Kammern schon in einer »Koordinierungsstelle für Gesamtverteidigung« zusammengeschlossen. Krieg als ganz normales Geschäftsmodell! Deutlicher kann man nicht zeigen, wie weit die Militarisierung der Zivilgesellschaft jetzt schon vorangeschritten ist.
Ich frage mich: Wo bleibt der Aufschrei der Zivilgesellschaft? Warum schweigen die Lämmer? Aber offenbar bewährt sich das alte Feindbild: Angeblich steht der Russe vor der Tür, und deshalb ist den Gewerkschaften das Soziale, den Klimaschützern das Klima und den Kirchen die Nächstenliebe egal. Und für die IHK gilt frei nach Brecht: Erst kommt das Geld und dann die Moral.
Mich würde interessieren, ob man bei der IHK die eigenen Denkschriften über ihre Geschichte liest, denn dort finden sich erstaunliche Parallelen: Dieselbe Euphorie herrschte 1936/37, als das regionale Handwerk und die Wirtschaftskammer zunehmend von der Rüstungskonjunktur profitierten und in »Gauwirtschaftskammern« überführt wurden, um, wie heute die Koordinierungsstelle, den Anforderungen der Kriegswirtschaft zu genügen. Das Ende ist bekannt.
Heute besteht immerhin noch die Möglichkeit, dass diese Kriegsbesoffenheit ein Ende ohne Schrecken findet. Aber selbst dann werden die Kriegsschulden in Billionenhöhe hinterher zu weiterer sozialer Spaltung führen: Sparpolitik, Zinsverpflichtungen und Inflation werden die Armen noch ärmer machen, während die Reichen als Rüstungsgewinnler noch reicher sein werden.
Wahrscheinlicher ist aber, dass diese Militarisierungswelle wie ihre zwei historischen Vorgänger 1914 und 1936/37 in einen großen Krieg und in Schrecken ohne Ende mündet. Herr, schmeiß Hirn ra!
Peter Stary, Reutlingen