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Aktuell Leserbrief

»Herr Linnemann hat ›nicht ganz‹ nicht ganz recht«

Zum Artikel »Zurück zur CDU pur« vom 2. Dezember (per E-Mail)

Herr Linnemann hat »nicht ganz« recht. Zitat: »Man wird mit dem neuen Bürgergeld mit zwei Kindern in Reutlingen knapp 3.000 Euro netto bekommen. Dafür muss man erst mal arbeiten gehen.«

Eine Familie mit zwei Kindern (nehmen wir mal an, 14 und 6 Jahre) bekommt 1.170 Euro Bürgergeld, 500 Euro Kindergeld und die Mietkosten (mal angenommen 90 Quadratmeter, 9,11 Euro/Quadratmeter Kaltmiete + 1,50 Euro/Quadratmeter kalte Nebenkosten und 2 Euro/Quadratmeter Heizung und Warmwasser, alles zusammen 1.135 Euro Warmmiete). Zum Leben bleiben unterm Strich 1.670 Euro im Monat für die ganze Familie.

Damit eine Familie mit gleicher Mietbelastung ohne staatliche Unterstützung auf dieselben Beträge kommt, müsste eine Person einen Vollzeitjob für 18 Euro/Stunde oder 1,5 Personen zum Mindestlohn von 12 Euro haben. Aber die Familie hat – auch bei 18 Euro Stundenlohn – ja das Recht, 540 Euro Wohngeld und 320 Euro Kinderzuschlag zu erhalten – wenn sie denn die Anträge stellt. Dann aber hat diese Familie 860 Euro oder 50 Prozent mehr im Geldbeutel als die nicht arbeitende Familie.

Selbst wenn in dieser Familie nur eine Person zum Mindestlohn arbeitet, bleiben dank 730 Euro Wohngeld und 500 Euro Kinderzuschlag 525 Euro oder 30 Prozent mehr in der Haushaltskasse als bei der nicht arbeitenden Familie.

Fakt ist also: Man hat deutlich mehr im Geldbeutel, wenn man arbeitet. Mal ganz abgesehen davon, dass für die meisten Menschen eine Arbeit haben ein Wert an sich ist. Fakt ist aber auch: Solange man im unteren Lohnsektor arbeitet, geht ein anständiges Leben nur, wenn man die vorgesehene Unterstützung vom Staat holt, wenn man immer wieder Anträge schreibt und monatelang auf Bescheide wartet.

Das ist bitter – aber dafür ist nicht die Grundsicherung verantwortlich (die Bezeichnung »Bürger«geld ist ziemlicher Unsinn). Es sind vielmehr nicht auskömmliche Löhne und viel zu hohe Mieten, die aus Steuergeldern ständig subventioniert werden. Das wären eigentlich die Baustellen, Herr Linnemann, wenn Sie den Haushalt sanieren wollen. Und die Armen in diesem reichen Land bräuchten sich nicht länger als Arbeitsscheue und Schmarotzer beschimpfen lassen.

Rüdiger Hecht, Reutlingen