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Aktuell Leserbrief

»Erschütternd zu sehen«

AfD (per E-Mail)

»Die Vorstellung, diese Partei könnte eines Tages Regierungsgewalt bekommen, bereitet uns große Sorgen«, heißt es im Leserbrief »Gleiche Rechte für alle Menschen« meiner Schriftstellerkolleginnen und -kollegen vom 8. Februar. Dem will ich mich anschließen! In der Brühlhalle in Sonnenbühl behauptete ein AfD-Kandidat: »Migranten sind die Mutter aller Probleme« (GEA vom 11. Februar). Glauben das die Wähler ernsthaft? Die meisten Migranten sind Kriegsflüchtlinge. Die haben kaum Gepäck dabei und kommen erst mal in Erstaufnahmeeinrichtungen, wo ihnen laut CDU-Ministerin Marion Gentges zukünftig ihre Wertsachen abgenommen werden sollen (auch Eheringe?).

Hier mal einige unserer Hauptprobleme: Mangel an bezahlbarem Wohnraum gibt es seit Jahrzehnten! So wurde der soziale Wohnungsbau schon 1990 von der damaligen CDU/FDP-Bundesregierung abgeschafft. Die heutige Wohnungsnot hat also gar nichts mit Geflüchteten zu tun, zumal AfD und CDU auch gegen eine Mietpreisbremse in Großstädten sind. Die AfD ist also selbst Teil des Problems. Energiepreise: Sind die Migranten dafür zuständig oder werden die von den Energiekonzernen gemacht? Krieg in der Ukraine: Soviel ich weiß, hat Russland die Ukraine militärisch angegriffen, Migranten waren glaube ich nicht beteiligt. Oder haben sich gar welche in Amtsstuben eingeschlichen und sind schuld an der wachsenden Bürokratie? Haben sie ein Mitspracherecht an der Gestaltung des Rentensystems? Und sind sie auch verantwortlich für die Angst angeblich vieler vor sozialem Abstieg – sie, die auf der untersten Sprosse der sozialen Leiter stehen?

Übrigens gab es auch viele andere unserer heutigen Probleme wie die Ökonomisierung der Krankenhäuser (Thema Kaputtsparen) oder die Verschrottung der Bundeswehr schon lange vor 2015! Außerdem lenkt die ganze Hetzdebatte wieder mal ab von den Ursachen der Migration. Denn es sind in erster Linie auch durch deutsche Rüstungsexporte angeheizte Kriege (siehe der erhellende Leserbrief »Haupttreiber sind die Kriege« von Beate Ehrmann, 11. Februar), Zerstörung afrikanischer Binnenmärkte auch durch westliche Politik und nicht zuletzt die Folgen des (von der AfD ignorierten) Klimawandels, der vor allem die ärmsten Länder der Welt am stärksten betreffen.

Außerdem schafft die maßlos überzogene Debatte (Asylbewerberzahlen sind ge-sunken) nicht gerade ein positives Signal für Arbeitskräfte aus dem Ausland, die insbesondere in Gesundheit, Pflege, Handwerk und Industrie dringend benötigt werden! Wenn Reichsbürger auf deutsche Polizisten und Behördenvertreter schießen, geht kein Aufschrei für verschärfte Gesetze durch die Politik! Aber anstatt Behörden so auszustatten, dass sie bestehende Gesetze richtig umsetzen können, werden Taten Einzelner benutzt, um Stimmung gegen alle zu machen. Es wird wohl mal wieder ein schwarzes Schaf gesucht und von den wahren Verantwortlichkeiten abgelenkt. Hatten wir das nicht schon mal? (»Die Juden sind unser Unglück!«)

Was den Vergleich mit den Nazis angeht, brauchen die AfD-Sympathisanten sich gegen historische Bezüge nicht zu wehren, wenn die »Abschiebekalender« (angeblich) »weggehen wie warme Semmeln«. Schließlich haben Nationalsozialisten schon Anfang der 30er-Jahre Ausreisetickets für Juden nach Jerusalem ohne Rückfahrt als Werbemittel verteilt. Allerdings scheint die AfD der Bildung ihrer Anhänger selbst nicht viel zuzutrauen, wenn sie davon ausgeht, diese seien nicht in der Lage, Begriffe wie Nationalsozialismus und Kommunismus inhaltlich voneinander zu unterscheiden.

Die AfD nimmt demokratische Rechte in Anspruch, um die Demokratie abzuschaffen. Erschütternd zu sehen, dass viele dieses Spiel noch immer nicht durchschauen!

 

Bernd Storz, Reutlingen