Der Landkreis Reutlingen, der gleichzeitig der Wahlkreis 289 ist, wird in dieser Wahlperiode nicht nur von CDU und Linken, sondern auch von Sieghard Knodel (AfD) vertreten. Zumindest bis vergangenen Montagabend. Knodel trat aus der AfD aus und sitzt jetzt partei- und fraktionslos im Bundestag.
Zum einen konnten sich die Bewohner des Landkreises wieder einmal über eine Erwähnung auf der Webseite der Tagesschau freuen, was sonst nur bei Hagel oder zu hohen Kitagebühren vorkommt. Zum anderen ist es eine gute Gelegenheit, sich noch einmal zu Gemüte zu führen, wie flüchtig der Nimbus der AfD als wahre Partei des Volkes ist. Sie hebt sich ab von der angeblich korrupten Parteilandschaft durch scheinbares Rückgrat, durch vermeintlich einfache Lösungen in komplizierten Zeiten.
Es gibt ein Detail, das dieses Bild stört: die politische Realität. Im Landkreis Reutlingen kann man betrachten, was von der Partei des Volkes übrig bleibt, wenn man einmal die weiße Fassade vom braunen Schimmel getrennt hat. Sieghard Knodel gewann in den Kommunalwahlen einen Platz im Kreistag, trat davon aber aus gesundheitlichen Gründen und wegen Stress wieder ab. Dann zerbrach die Ampel, Folge war der vorgezogene Bundestagswahlkampf. Direktkandidat Rudolf Grams profilierte sich im Wahlkampf vor allem durch das unentschuldigte Fehlen an diversen zugesagten öffentlichen Auftritten und einem etwas altersschwachen Fanclub, der wenig subtil in diversen Diskussionsrunden für Stimmung sorgte. Auf dem AfD-Listenplatz 18 fand sich damals wieder Sieghard Knodel – im Wahlkampf immer noch krank. Das tat der Beliebtheit der Partei aber keinen Abbruch, der Frust über die Ampeljahre saß noch tief. Die AfD holte 21 Prozent im Wahlkreis, in Münsingen schlug sie sogar die CDU. Das reichte zwar nicht für das Direktmandat für Grams, aber die Landesliste hievte immerhin Knodel in den Bundestag.
Im Wahlkampf unsichtbar, hatte der Mägerkinger jetzt also überraschenderweise einen Sitz – war aber leider immer noch krank. Da hätte man mit gutem demokratischem Beispiel vorangehen und den nachfolgenden Listenplätzen Platz machen können. Der designierte Bundestagsabgeordnete Knodel erfuhr dann eine schlagartige gesundheitliche Verbesserung, was ich aber auf keinen Fall auf die 11.227,20 Euro Aufwandsentschädigung für Abgeordnete zurückführen will. Dass dieser Eindruck trotzdem entsteht – bei einer Partei, die dummerweise immer davon redet, wie unfassbar korrupt die anderen sind –, ist eher suboptimal.
Gleichzeitig hat der Direktkandidat Grams schon vorher gezeigt, was er von den Wählenden hält, indem er ihnen seine Aufmerksamkeit und physische Anwesenheit nur in homöopathischen Dosen zuteilwerden ließ. Knodel setzte dem Ganzen noch die Krone auf: Er setzt trotz seines Parteiaustritts selbstverständlich seine Arbeit im Bundestag fort, was ich wieder nicht auf die 11.227,20 Euro Aufwandsentschädigung schieben möchte – was aber schön zeigt, was die AfD für einen geeigneten Kandidaten hält: Knodel tritt nicht etwa ab, weil er mit dem rechtsextremen Gedankengut seiner Partei ein inhaltliches Problem hat, sondern weil er Angst hat, dass der neuerdings amtlich bestätigte Ruf seiner Partei »seine Kunden« gegen ihn aufbringen könnte, ergo aus rein ökonomischen Gründen.
Wer jetzt eventuell an seiner Wahlentscheidung zweifelt oder sich gar von der AfD und Knodel betrogen fühlt, hat das Glück, dass unsere Demokratie noch funktioniert und es genügend Alternativen zur Alternative gibt, mit Kandidaten, die sich tatsächlich daran erinnern, was unsere Demokratie ausmacht – und dass ihr Wert mehr als 11.227,20 Euro beträgt.
Yannik Hummel, SPD-Landtagskandidat in Münsingen-Hechingen, Römerstein-Zainingen