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Aktuell Leserbrief

»Debatte um Militarisierungsvorhaben vernebelt«

Außenpolitik (per E-Mail)

An der Ehrlichkeit der »Brandmauer«-Proteste gegen AfD und Rechtsruck habe ich keine Zweifel. Andererseits bin ich sicher, dass es den Parteien der »demokratischen Mitte« sehr recht ist, wenn dieses Thema im Wahlkampf dominiert, bleiben dadurch doch andere Themen eher unterbelichtet. Ganz besonders vernebelt wird die Debatte um Militarisierugs- und Rüstungsvorhaben der Parteien. Abgesehen davon, dass man sich zuallererst die Frage nach den Ursachen der 20 Prozent AfD-Stimmen und dem Anteil vergangener Regierungen daran stellen müsste, ist es leicht vorhersehbar, dass die »Brandmauer« spätestens dann keinen mehr interessiert, wenn im politischen Alltag die Parteien auf Mehrheiten schielen und dann eben auch gelegentlich auf das blaue Fünftel der Bundestagssitze.

Sehr deutlich und fühlbar werden nach den Wahlen aber die Folgen der Militarisierung sein und das fast unabhängig von der jeweiligen Koalition, denn sämtliche mögliche Koalitionäre befürworten drastische Steigerungen der Rüstungsausgaben.

So hieße Habecks 3,5-Prozent-Forderung beispielsweise, dass etwa ein Drittel des Staatshaushalts in Militärausgaben versenkt würden, ganz zu schweigen von Trumps Forderung nach 5 Prozent, die von der AfD sofort unterwürfig aufgegriffen wurde. Die Folgen sind absehbar: eine nie da gewesene Plünderung der öffentlichen Kassen mit entsprechend katastrophalen Auswirkungen für soziale, gesundheitliche und kulturelle Bereiche. Kein Wahlkampfthema? Ein weiteres unterbelichtetes Thema im Wahlkampf ist die für nächstes Jahr vorgesehene Stationierung von US-Raketen im pfälzischen Büchel. Klammheimlich und ohne jegliche parlamentarisch/demokratische Abstimmung werden uns diese erstschlagfähigen Raketen im Ernstfall oder auch nur im Fall eines digitalen »Irrtums« zur ersten Zielscheibe eines nuklearen Gegenschlags machen. Kein Wahlkampfthema?

Die beteiligten Parteien sind an einer Vernebelung dieser eigentlich hoch relevanten Themen interessiert, denn wer sagt schon gerne seinen potenziellen Wählern, dass er nach den Wahlen die öffentlichen Kassen plündern will, um zum Beispiel Rüstungskonzerne zu füttern und obendrein das Land zur bevorzugten nuklearen Zielscheibe in einem Nuklearkrieg machen möchte?

Militarisierung und Aufrüstung ist »Staatsraison«, was heißt: »Muss sein! Wir können nicht anders, auch wenn wir wollten!« Und diese scheinbare Alternativlosigkeit vertreten mit Ausnahme des BSW alle relevanten Parteien, einschließlich der Linkspartei und – Brandmauer hin oder her – der AfD.

Die jahrzehntelangen Gütesiegel deutscher Außenpolitik, nämlich Verständigung und Entspannung, spielen in der aktuellen Politik und im Wahlkampf keine Rolle. Im Gegenteil: Wer Abrüsten sagt, riecht nach Feindpropaganda und Landesverrat. Leider auch in jener Partei, die sich als Nachfolge der einstigen legendären Entspannungspolitiker Brandt oder Bahr versteht.

Alle politische Zeichen deuten auf einen großen Krieg hin. Ob in der Ukraine, im Nahen Osten oder in dem von den USA offen angesagten Konflikt mit China. Erst am 28. Januar wurde die sogenannte Weltuntergangsuhr des »Bulletin of the Atomic Scientist« mal wieder um eine Sekunde vorgestellt – auf 89 Sekunden vor »Zero«.

Mich erinnert das an einen Song des Liedermachers Hannes Wader mit seinen Worten am Grab eines neunzehnjährigen Soldaten des Ersten Weltkriegs in der Champagne: »Dich haben sie schon genau so belogen, wie sie es mit uns heute immer noch tun.« Und wir lassen uns auch heute mal wieder durch den Kakao ziehen?

 

Peter Stary, Reutlingen