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Aktuell Leserbrief

»Brauchen mehr Sozialbindung«

Zum Artikel »Wohnungspolitik muss warten« vom 1. Februar (per E-Mail)

Ist es zu viel verlangt, dass sämtliche Fraktionen im Gemeinderat tatsächlich für bezahlbaren Wohnraum eintreten? Dieser Tage scheint es so, als sei die Vorstellung von »bezahlbarem Wohnen« nur noch ein hohler Slogan, der die Realität kaum streift.

Wohnraum, der ausreichend, angemessen und bezahlbar ist, sollte ein Grundrecht eines jeden Bürgers sein. Die gerechte Versorgung mit Wohnraum stellt eine der fundamentalen Voraussetzungen für sozialen Frieden dar. Doch wenn der Begriff »bezahlbares Wohnen« fällt, denken einige wohl fälschlicherweise ausschließlich an Ge-flüchtete. In Wirklichkeit haben vor allem Familien mit durchschnittlichem Einkommen kaum noch eine realistische Chance, eine angemessene Wohnung zu finden.

In diesen kritischen Zeiten bringt ein interfraktioneller Antrag von FWV, WiR und FDP im Gemeinderat einen Vorschlag ein, der den Förderzeitraum von derzeit 40 Jahren aufweichen und durch eine Variable zwischen 10 und 40 Jahren ersetzen möchte. Der einzige offensichtliche Grund dafür ist, dass Wohnungen möglichst kurz einer Sozialbindung unterliegen sollen, um sie dann nach 10 Jahren zu wesentlich höheren Preisen vermieten zu können.

Wie realitätsfern muss man sein, um einen solchen Antrag zu unterstützen? Wir brauchen mehr, nicht weniger Sozialbindung! Wir brauchen Maßnahmen, die tatsächlich Wirkung zeigen, anstatt die Bedürfnisse der Bevölkerung zu ignorieren.

Eine FDP-Stadträtin träumt davon, dass der Staat sich komplett zurückzieht und der Markt die Dinge regelt. Doch die jüngste Vergangenheit hat uns doch gezeigt, dass der Markt allein nicht in der Lage ist, die Wohnraumkrise zu bewältigen. Die Stadt Reutlingen sucht dringend Erzieherinnen und Erzieher, um die Betreuung unserer Kinder sicherzustellen. Doch Menschen in sozialen Berufen können sich keine hochpreisigen Wohnungen leisten, und unter anderem aus diesem Grund lehnen sie Arbeitsplätze in der Stadt Reutlingen ab. Es sind nicht allzu viele Möglichkeiten für unsere Stadt, mit denen sie Einfluss auf bezahlbaren Wohnraum nehmen kann. Ein wesentlicher ist, dass für unser Wohnungsbauunternehmen GWG eine Umsetzung von 70 Prozent sozialgebundenen Wohnungen festgeschrieben ist.

Das Zwischenerwerbsmodell, das in vielen anderen Städten längst angewendet wird, ist eine weitere Handhabe, die im Übrigen schon in den früheren Jahren von Oskar Kalbfell und Karl Guhl erfolgreich eingesetzt wurde. Erst, wenn die oft sehr kleinen Flurstücke in städtischer Hand sind, wird zum Bauland umgelegt. Ohne dieses Werkzeug hätte zum Beispiel Orschel-Hagen niemals diese Entwicklung genommen, die zu circa 3.000 bezahlbaren Wohnungen führte.

Es gibt zu wenig Wohnungen, während gleichzeitig zahlreiche Wohnungen leer stehen. Die Stadtverwaltung betont, dass der Leerstandsmelder lediglich »freundliche Beratung und Unterstützung« bietet, aber die CDU-Fraktion möchte diesen Leerstandsmelder abschaffen, weil er angeblich weder den Zusammenhalt noch die Attraktivität von Reutlingen fördert. Die Frage, ob ein Leerstandsmelder oder fehlender bezahlbarer Wohnraum den Zusammenhalt gefährdet, überlasse ich den Leserinnen und Lesern. Einige Gemeinderatsmitglieder sollten sich ihrer Verantwortung gegenüber der Bevölkerung bewusst werden. Die Forderung nach bezahlbarem Wohnraum ist keine Randnotiz, sondern ein drängendes Anliegen, das umgehend angegangen werden muss.

 

Mert Akkeceli, Vorsitzender des SPD-Ortsvereins, Reutlingen