Nachdem der israelische Ex-Verteidigungsminister Jaalon seinem Land »ethnische Säuberung« im Gazastreifen vorgeworfen hat, ist die Büchse der Pandora zur Genozid-These weit geöffnet. Und genau für diese wurde die renommierte Fotokünstlerin Nan Goldin mit ihrem »Völkermord-Vorwurf« (25. November 2024) massiv wegen »antisemitischer« und »israelfeindlicher« Polemik verpritscht.
Goldin hat nicht nur Israel, sondern auch Deutschland angeprangert: »Haben Sie Angst, das zu hören, Deutschland? Dies ist ein Krieg gegen Kinder.« Und plausibilisiert zugleich, warum Deutschland mit allen Mitteln den Haftbefehl gegen Netanjahu verhindern wollte.
Dabei haben schon andere Größen wie der Papst sich zu den Verbrechen in Gaza eindeutig geäußert: »Einigen Experten zufolge hat das, was in Gaza geschieht, die Merkmale eines Völkermordes.« Die Worte des Papstes spiegeln die Feststellung eines Expertengremiums der Vereinten Nationen wider. So wird die Völkermordklage Südafrikas gegen Israel von vielen Juristen und Wissenschaftlern gestützt.
Der israelische Professor für Holocaust- und Völkermordstudien Raz Segal bezeichnete das Vorgehen in Gaza als einen »Lehrbuchfall von Völkermord«. Die Berichte der Brown University, des Watson Instituts, der Gaza Health Case Letters belegen die Genozid-Realität: Hunger als Waffe, systematische Vertreibungen und brutale Kriegsführung gegen die Zivilbevölkerung. Und der rechtsextreme Finanzminister Smotrich rief dazu auf, die »einzigartige Gelegenheit« zu nutzen, um die Bevölkerung des Gazastreifens »innerhalb von zwei Jahren um die Hälfte zu reduzieren«. Auch Human Rights Watch spricht von »ethnischer Säuberung«.
Der Generalsekretär von »Norwegian Refugee Council« beschreibt die Lage in Nord-Gaza als »dystopischen Horrorfilm«. Der UN-Hochkommissar für Menschenrechte (OHCHR) definiert die »Zerstörungen durch Tod und Vertreibung« als »Verbrechen gegen die Menschlichkeit«. Auf diesem Beweishintergrund hat der Internationale Gerichtshof nachvollziehbar den Haftbefehl gegen Netanjahu erlassen.
Trotz dieser Eindeutigkeit israelischer Kriegsverbrechen bezeichnet der Zentralrat der Juden diesen Haftbefehl als »Absurdität«. Von den Ergüssen einer Claudia Roth ganz zu schweigen.
Um es klar zu sagen: Ich stehe wie Frau Goldin unverrückbar zum Existenzrecht des Staates Israel. Ich erweitere jedoch die Definition von »Staatsräson«: Einhaltung des Völkerrechts, um die geschundenen Menschen in Gaza vor einem weiteren Genozid zu bewahren. Anerkennung der Zwei-Staaten-Lösung, wie im Völkerrecht und in der Arabischen Friedensinitiative gefordert. Das ist das Gegenprogramm zu Netanjahus »Neuen Nahen Osten« als Garantie für einen endlosen und eskalierenden Krieg.
Die Kriegsfalken in den USA (Zusammenspiel der Neocon-Israel-Lobby) haben nicht nur alle »Stellvertreterkriege« (Irak, Libanon, Libyen, Somalia, Sudan, Syrien und jetzt Gaza) als Trümmerlandschaften hinterlassen. Sondern auch mit dem Vetorecht im UN-Sicherheitsrat die internationalen Proteste neutralisiert.
Der weihnachtliche Anspruch »Friede den Menschen auf Erden« ist Sehnsucht und Illusionstheater zugleich. Dass sich der Papst positioniert hat, ist dem Mainstream sichtbar entgangen. Das Schweigen der grün-affinen Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) macht eben doch noch einen kleinen Unterschied aus. Vor allem auf dem Hintergrund weihnachtlicher Friedensbotschaft wäre etwas protestantisch-christliche Empathie sicher kein Fehler!
Dr. Günter Ludwig, Reutlingen