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Aktuell Leserbrief

»Aus der Geschichte lernen«

Raketenstationierung (per E-Mail)

Neben dem Bett meines Opas hing immer ein Schwarz-Weiß-Foto eines ganz jungen Soldaten. Das sei Erwin, hieß es. Er sei »im Krieg gefallen«. Als Kind war das für mich ohne Bedeutung. »Krieg« gab es keinen in meiner behüteten Welt, »gefallen« war ein komisches Wort, und den jungen Mann in der altmodischen Uniform kannte ich nicht. Erst mit den Jahren sickerte das Grauen nach und nach in mich ein. Erwin war Opas kleiner Bruder gewesen.

Meines Vaters geliebte Oma Karoline wurde in den letzten Kriegstagen von Tieffliegern auf ihrem Acker niedergemäht. Er hat sie als Elfjähriger nach dem Angriff dort gefunden.

Die heiß ersehnte Schwester meiner Mutter, Gudrun, konnte nach Tagen und Nächten im Luftschutzkeller nur noch tot geboren werden. So ziehen sich Dramen und Traumen durch fast alle Familien, und doch werden mit jedem Tag, an dem wir uns und insbesondere die Machthabenden sich nicht mit aller Kraft für die Beendigung von Kriegen einsetzen, egal wer sie wo, wann und warum angefangen haben mag, weltweit täglich Tausende weiterer Erwins, Karolines und Gudruns umgebracht.

Und jetzt wollen wir, will unsere Regierung, in Nato-Nibelungentreue tatsächlich wieder Mittelstreckenwaffen in Deutschland stationieren? Echt jetzt? Kann man eigentlich noch lauter »Hier sind wir, bitte bombardiert uns!« schreien? Oder sollte man nicht vielleicht doch endlich aus der Geschichte lernen?

Andrea Scheib, Reutlingen