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Aktuell Leserbrief

»Armes Reutlingen«

Christuskirche Reutlingen (per E-Mail)

Die Arbeiten in der Reutlinger Christuskirche haben begonnen: Die Orgel ist abgebaut und verkauft, die Kirchenbänke ebenso. Jetzt kann’s also losgehen: die Christuskirche wird ihrer ursprünglichen Bestimmung beraubt. Mit diesem Umbau innen in der Kirche verliert Reutlingen einen bedeutenden Schatz: einen Kirchenbau (zu Zeiten der Nazis gebaut) mit großer Empore und einer einmaligen Akustik, die weit über die Stadt hinaus bekannt war. Hier konnte Hans Grischkat seine Interpretationen unter anderen von Bachs Kantaten und Oratorien zur Aufführung bringen.

Unzählige Konzerte fanden in der Folge dort statt mit Eckhard Weyand und anderen. Auch die Württembergische Philharmonie spielte dort über viele Jahre. Die letzte große Aufführung auf der Empore mit dem Deutschen Requiem von Johannes Brahms fand am 25. November 2023 mit 110 Sängerinnen, Sängern und großem Orchester unter der Leitung von Marcel Martínez statt.

Erst bei Aufführungen von der Empore aus kam die einmalige Akustik zum Tragen. Bei Aufführungen vor dem Altar stand immer nur das Visuelle im Vorgrund, nicht das Akustische. Die Vorstellung, dass nun die Bagger in der Kirche anrücken, wird vielen, die sich mit der Christuskirche verbunden fühlen, ein Grausen hervorrufen.

Der Artikel vom 20. Februar von Anja Weiß über den Luxus von Gotteshäusern führt im Einzelnen genau die Probleme auf, die die Kirchen (egal ob evangelisch oder katholisch) mehr und mehr um-treibt. Im Falle von Reutlingen wäre aber die Jubilatekirche in Orschel-Hagen bestens geeignet gewesen, um einem Diakonischen Zentrum zu weichen. Sie ist auch nicht mehr die Jüngste und dazu noch potthässlich. Aber dort wird nicht Hand angelegt! Für die Christuskirche wäre aber ein Investor durchaus zu finden gewesen, um sie zu erhalten. Nun, die Würfel sind gefallen: Reutlingen ist ärmer geworden. Bedauerlich, aber wahr!

 

Rüdiger Müller-Nübling, Reutlingen