Ich denke, es macht sich vom Wählerkreis der politischen Mitte niemand lustig darüber, dass die SPD so dramatisch an Zuspruch verloren hat. Nicht nur, dass die FDP nicht mehr im Bundestag ist, auch das politische Zentrum im Bundestag ist erheblich geschwächt worden. Die Ränder links wie rechts bringen es auf sage und schreibe 35 Prozent in der Wählergunst. Das treibt mir die Sorgenfalten auf die Stirn!
Nun ist Lars Klingbeil neben seinem Posten als Parteivorsitzender auch zum Chef der SPD-Fraktion geworden. Doch was er in dem Vorstellungsgespräch am Mittwoch in Richtung Koalitionsverhandlungen von sich gegeben hat, grenzt schon an Überheblichkeit. Es sollen vernünftige, ordentliche und ernst gemeinte Gespräche geführt werden, die auch diskret sein sollen. Ja ist denn das nicht selbstverständlich?
Er will Konsequenzen aus dem Wahlergebnis ziehen, verloren gegangenes Vertrauen zurückgewinnen und kommt doch in einem Atemzug gleich wieder auf die alten SPD-Zitate, sich für die hart arbeitenden Menschen einzusetzen. Das klingt ziemlich nach »nichts gelernt«, denn das steht bei vielen Menschen in Deutschland nicht an erster Stelle. Auch aus den eigenen Reihen kam ein Murren gegen den Fraktionsvorsitz, denn auch Klingbeil steht irgendwo für das katastrophale Wahlergebnis in der Verantwortung!
Er wurde es nur, weil Rolf Mützenich nicht mehr das Amt haben wollte und sonst niemand angetreten war. Doch dann herzugehen und gleich wieder die CDU öffentlich zu attackieren, da diese die Fördergelder aus dem Topf »Demokratie leben« bei »Omas gegen rechts« infrage stellt, ist schon starker Tobak. Wenn schon, hätten die »Omas gegen rechts« die CDU anklagen können, doch einer SPD steht so etwas nicht zu. Punkt! »Demokratie leben« ist eine von Manuela Schwesig (SPD) 2014 gegründeter Fördertopf vom Bundesfamilienministerium – so schließt sich der Kreis.
Wenn das Klingbeil schon stört, hätte er das auch weniger medienwirksam in einem Vier-Augen-Gespräch oder am Telefon mit Merz besprechen können. Und gleich kommt wieder das Geplapper mit der Beschädigung der Demokratie. Ich kann das schon nicht mehr hören, denn aus den Trümmern 1945 ist unter Federführung der Alliierten bis 1955 die BRD politisch, gesellschaftlich und wirtschaftlich auf die Beine gestellt worden. Deutschland funktioniert in Exekutive, Legislative und Judikative – und das schon Jahrzehnte. Die Legislative ist das Element, um das ich mich wegen vielerlei Parteien-Egoismus zunehmend sorge.
Hey, lieber Herr Klingbeil, wir haben keinen Wahlkampf mehr. Es geht jetzt darum, in Koalitionsverhandlungen zu gehen und die Sticheleien bleiben zu lassen. Es steht nicht weniger als die Stabilität der politischen Mitte auf dem Spiel. Das ist die letzte Chance, sonst kommen die radikalen Parteien ans Ruder. Ich hoffe das hat jeder in SPD und CDU/CSU kapiert. Ab jetzt keinen Wahlkampf mehr, sondern Ergebnisse, auch wenn sie wehtun! Und es soll sich weder Klingbeil noch Merz heraustrauen und für das Scheitern dem Anderen die Schuld geben, denn das wäre das größte Foul aller Zeiten an der Legislative.
Joachim Steinmaier, Dettingen