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Aktuell Großaktion

Wie Streunerkatzen in Münsingen jetzt geholfen wurde

Der Tierschutzverein Mensch und Tier aus Lichtenstein startet eine einmalige Aktion: Möglichst viele besitzlose Katzen sollen in einer Woche eingefangen, tierärztlich behandelt, kastriert und zurück an den Fundort gebracht werden. Das aufwändige Unternehmen wird von zahlreichen Ehrenamtlichen unterstützt

Ann-Kathrin Goller entlässt einen Kater nach seiner Behandlung wieder in die Freiheit. Foto: Frank Pieth
Ann-Kathrin Goller entlässt einen Kater nach seiner Behandlung wieder in die Freiheit.
Foto: Frank Pieth

MÜNSINGEN. Ein nächtlicher Polizeieinsatz am Münsinger Bauhof. Auf dem Bauhof ist die ganze Nacht Betrieb, ungewöhnlich, aber legal und mit Segen der Stadt. Die Katzenteams des Tierschutzvereins Mensch und Tier (MuT) sind unterwegs und nutzen die beuteversprechenden Nachtstunden für ihre Fangaktionen. Plötzlich tauchen unbekannte Fahrzeuge auf, der Hof und die Hallen werden in gleißendes Scheinwerferlicht getaucht. Besorgte Bürger, die Einbrecher auf dem Bauhof vermuteten? Oder Menschen, die die Katzenaktion stören wollten? Man weiß es nicht, bis die von den Katzenschützern gerufene Polizei an Ort und Stelle ist, ist der Spuk vorbei.

- Das Ziel der Aktion

Die Katzenschützer wollen ein gutes Werk verrichten. So viel wie möglich Streuner sollen in der ersten Aprilwoche eingefangen, kastriert und tierärztlich versorgt werden. Die groß angelegte Aktion in allen Münsinger Teilorten lief gut an, übers erste Wochenende wurden bereits 30 Katzen gefangen, an den folgenden Tagen kamen laufend neue Patienten auf die Hopfenburg.

Tanja Rauscher übernimmt.
Tanja Rauscher übernimmt. Foto: Steffen Wurster
Tanja Rauscher übernimmt.
Foto: Steffen Wurster

- Die Katzen

Worum geht es? Streuner sind ein Problem, es kursiert die Zahl von zwei Millionen in Deutschland. Das kann für Vogelarten, deren Bestände am schwinden sind, bedrohlich sein. Vor allem geht es den Streunern aber selbst schlecht. Es fanden sich Tiere mit gebrochenen Beinen, einem Kater hing ein Auge heraus. Vor allem Mangelernährung und Krankheiten sind ein Problem. Laufende Nasen, ein gefangenes Kätzchen konnte nur noch hecheln, Triefaugen, Verletzungen oder Katzenkaries – all das finden die Katzenschützer auch bei den Münsinger Wildlingen. Der Katze auf dem Foto oben mussten alle Zähne gezogen werden, die Zahnwurzeln waren vereitert. Zurück nach Hause kann sie nicht, Mäusefangen ohne Zähne geht nicht, sie wird an einen Pflegeplatz vermittelt. Verwilderte Katzen sind keine Wildtiere, erklärt Svenja Große-Kleffmann. Ohne menschliche Hilfe kommen sie, anders als Fuchs oder Marder, selten zurecht. Die Beschwerden, mit denen sie sich herumschleppen, sieht man ihnen selten an. »Das regelt nicht die Natur«, sagt Große-Kleffmann, weder die Gesundheit noch den Bestand: »Der einzige Feind ist das Auto.«

- Die Schutzaktion

MuT hat die Aktion über soziale Medien und die lokale Presse (der GEA berichtete) bekannt gemacht. Nach zahlreichen Meldungen über auffällige Katzenvorkommen wurden in Münsingen und seinen Teilorten 200 Hotspots identifiziert. Hier werden die Fallen aufgestellt, hier könnten die Erfolge am größten sein. Bereits im Vorfeld haben sich die Katzenschützer mit Grundstücksbesitzern, oft Landwirte im Außenbereich, verständigt, im Lauf der Aktionswoche bekommen weitere Besuch und werden gebeten, ihr Einverständnis zu geben. Nach dem Einverständnis der Grundstücksbesitzer werden die Hotspots freigegeben, die Teams rücken mit Fallen bewehrt aus.

Svenja Große-Kleffmann im OP.
Svenja Große-Kleffmann im OP. Foto: Frank Pieth
Svenja Große-Kleffmann im OP.
Foto: Frank Pieth

- Reaktion der Bevölkerung

»Münsingen hat ein raues Klima«, sagt Svenja Große-Kleffmann, 1. Vorsitzende von MuT. Die Reaktionen waren teilweise heftig, wenn MuT auf den Höfen erschien, bis hin zu Gewaltandrohungen, berichtet Jasmin Chornet Martinez. Das sind Ausnahmefälle, viele wollen keine Fallen auf dem Hof, bleiben aber höflich. Meine drei, vier fünf Katzen sind gesund und kastriert, heißt es dann. Das Argument des Verhandlungsteams, dass es eben um die nichtkastrierten und kranken Tiere geht, die sich um die Schuppen herum aufhalten, dringt nicht mehr durch. Ein Apfelstetter Landwirt ist aber aufgeschlossen: »Wir haben vier – kastrierte – Katzen und das reicht.« Er zeigt auf seine auffällig gefärbten Hoftiger, die vom Hungerwind geschützt neben einem Holzstapel in der Sonne liegen: »Die bleiben hier, der Rest ist wild, eure Fallen könnt ihr stellen.« Ann-Kathrin Goller hat noch ein Argument, um Landwirte zu überzeugen: An Feldscheuern werden gerne Katzen ausgesetzt, wie ein Bauer mehrfach beobachten konnte. Selbst einen angebundenen Hund musste er schon befreien.

- Die Einsatzzentrale

Auf dem Münsinger Bauhof ist am Montagmorgen um halb neun schon Hochbetrieb. Die freiwilligen Helfer melden sich an und werden in Fangteams eingeteilt. Andere reinigen die schon benutzten Fallen und Boxen penibel, Streuner haben oft ansteckende Krankheiten. Die letzten Nachtfänge werden zu den beteiligten Tierärzten gebracht. Die Kater, die schon am Freitag gefangen, kastriert und tätowiert wurden und gesund sind, kommen am Montag wieder in Transportboxen zurück an die Fundstelle.

- Die Hundemeute

Die Spürnasen-Spezialeinheit aus der Neckar-Fils-Region, angeführt von Sandra Blankenhorn, taucht gegen 10.30 Uhr auf. Die Hunde kommen zum Einsatz, wenn eine Kätzin mit dicken Zitzen gefangen wird und die Kätzchen gefunden werden müssen. Die Hunde bekommen eine Geruchsprobe von der gefangenen Katze. Jetzt macht Hund sich auf den Weg auf der Fährte zurück zum Katzennest. Die Hunde sind genau darauf abgerichtet, »die bleiben auf der Spur, auch wenn da zehn Katzen drübergelaufen sind«, versichert Blankenhorn. Sonst sucht die Spezialeinheit verschwundene Katzen. Beziehungsweise das Gebiet, in dem sich die weitere Suche durch den Menschen lohnt. Ihr Ziel erreichen die Hunde also nie, »wenn eine Katze einen Hund sieht, ist sie weg, und das wollen wir ja nicht«, sagt Blankenhorn. Den Hund »lesen«, erkennen, wann er nah dran ist, lernt man in der Spürnasenausbildung.

Einweisung am Bauhof.
Einweisung am Bauhof. Foto: Frank Pieth
Einweisung am Bauhof.
Foto: Frank Pieth

- Die Behandlung der Streuner

Die Fallen werden laufend überwacht. In der Nacht mit Kameras, bei Tag bleiben die Fangteams vor Ort und werfen mindestens alle halbe Stunde einen Blick auf die Kästen – der Stress hinter Stahlgittern soll möglichst kurz sein. Gefangene Tiere kommen in eine Transportbox, dann geht's zur Einsatzzentrale, dort wird die Katze in eine große Box, ein Kennel, mit Katzenklos, Futter und Wasser entlassen. Die Neuankömmlinge werden mit Geschlecht, geschätztem Alter und Fundort erfasst. Auch Auffälligkeiten werden notiert. Dann folgt der Weg zu den Tierärzten. Kranke werden behandelt, sie und trächtige Katzen kommen in Pflegestellen. Gesunde weibliche Tiere werden nach der Sterilisation noch fünf Tage beobachtet, Kater können schon nach drei zurück in die alten Jagdgründe. Denn da kommen alle gesunden Tiere wieder hin. Um die Mäuse müssen sich Hofbesitzer keine Gedanken machen, die kastrierten Streuner sind genauso hungrig und geschickt wie vorher. Große-Kleffmann, im Hauptberuf (Human-)Chirurgin, hilft unter Anleitung der Tierärzte bei kleineren Eingriffen, bei Medikation und Impfung mit. In Münsingen ist auffallend, wie viele Tiere erst lange behandelt werden müssen, bevor an eine Kastration auch nur zu denken ist.

- Was ist mit Freigängern?

Falls ein Stubentiger während seines erlaubten Ausgangs in die Falle tappt, können die Expertinnen das meist schnell erkennen. An den Spuren der Kastration oder an der Tätowierung. Chips lesen die Fangteams mit Chiplesern aus, auf diese Art sind schon vermisste Katzen wieder aufgetaucht – Steckbriefe vermisster Katzen hängen im Einsatzzentrum. Wer mit den Tierschützern zusammenarbeitet, kann auch eine Beschreibung seiner Katze hinterlassen. »Eine müssen wir wieder laufen lassen«, hieß es am Montag in der Zentrale, das Tier war bekannt und gehörte zum Hof. Das Schlimmste, was passieren kann, ist also, dass man seine Katze tierärztlich versorgt und kastriert zurückbekommt.

- Die Katzenschützer

Die Aktion wird vom Verein Tier und Mensch (MuT) und der Stadt Münsingen organisiert, unterstützt wird sie von Tierärzten aus der Region. Die Freiwilligen kommen aus ganz Baden-Württemberg. So ist Ursula Braun aus Bad Saulgau angereist, für die Katzentatzen Bad Saulgau. Sie will bei ihrem Einsatz Erfahrungen für die Arbeit im eigenen Verein sammeln. Kastrationen kosten Geld, 60 Euro für einen Kater, 80 Euro für eine Kätzin. Dazu kommen Medikamente und Tierarzt. Die Stadt Münsingen steuert 5.000 Euro bei, 10.000 Euro kommen vom Regierungspräsidium, den Rest trägt MuT.

- Das Ergebnis

Bilanz wird am kommenden Montag gezogen. Wie viele Katzen es werden, ist nicht entscheidend. Bei der Aktion lernen die Vereine einiges, auch über die nicht immer einfache Kommunikation mit Grundbesitzern. Und dass das Thema Streuner, das Wissen über ihr nicht leichtes Leben, besser bekannt wird.

Wichtig ist MuT auch, dass Katzenschutzverordnungen mit Kastrations- und Kennzeichnungspflicht für Freigänger mit Besitzern wie in Eningen von allen Gemeinden in der Region eingeführt werden. Dann wird es immer noch Streuner geben, aber ein Anfang wäre gemacht, um die Zahl der charmanten Räuber einzugrenzen. Zum Schutz von Amsel, Drossel, Fink und Star und letztlich der Katzen selbst. (GEA)

KATZENSCHUTZ

Eningen hat sie schon, sonst noch keine Gemeinde in der Region: eine Katzenschutzverordnung. Die Zuständigkeit liegt bei den Kommunen. In einer Katzenschutzverordnung kann unter anderem festgelegt werden, dass »der unkontrollierte freie Auslauf fortpflanzungsfähiger – unkastrierter – Katzen in dem jeweiligen Gebiet verboten oder beschränkt wird«. Oder eine Kennzeichnung und Registrierung der Katzen, die unkontrollierten freien Auslauf haben können, vorgeschrieben wird, heißt es im § 13b des Tierschutzgesetzes. (GEA)