TÜBINGEN. Wer das neue Buch von Lisa Federle liest, fragt sich als Erstes eines: Woher hat sie die Zeit genommen, es zu schreiben. Im Leben der Notärztin und niedergelassenen Medizinerin geht es derart turbulent zu, dass man sie sich kaum am Schreibtisch vorstellen kann, mit Sätzen ringend. Ganz so war es auch nicht, erzählt die 62-Jährige. Vieles hat sie zuerst ihrer Freundin und Co-Autorin Isabelle Müller erzählt. Zwischen zwei Patientengesprächen. Gemeinsam kamen sie auf weitere Ideen. Das passt gut zum Inhalt des Buches. Denn es geht um menschliche Beziehungen in ihrer ganzen Vielfalt, und wie sie sich auf unsere Gesundheit auswirken. Es geht aber auch um eine ganz besondere Tugend: dem Zuhören.
Im Grunde genommen beschreibt Federle einfach ihren Alltag zwischen großer Familie mit vier Kindern und Enkelkindern, Arztpraxis, Notfällen und Freunden. Nichts wurde erfunden, nur die Namen, Berufe und das Alter der Patienten geändert. Abgesehen von Oberbürgermeister Boris Palmer. Der taucht mit vollem Namen im Buch auf.
»Es reicht nicht, nur den Blutdruck zu messen - Lisa Federle«
Dabei blickt die Ärztin genau auf ihre Patienten und Freunde. Hinter der medizinischen Diagnose steht oft ein ganz anderes Problem. Das weiß sie aus ihrer Erfahrung als Ärztin. »Es reicht nicht, nur den Blutdruck zu messen.« Es sei gar nicht so selten, dass Beziehungsprobleme die Ursache von Schwindel, Kreislaufprobleme und Bluthochdruck sind.
Schwierige Beziehungen können Krankheiten auslösen. Gute Beziehungen sind außerordentliche Kraftquellen für den Alltag. Lisa Federle erlebt das selbst jeden Tag. Ihren anstrengenden Berufsalltag, der oft erst spät endet, bewältigt sie zusammen mit ihrer Familie. Kinder und Enkelkinder seien ihre Kraftquellen, erzählt die Ärztin. Dazu habe sie in ihrer Tätigkeit als Notärztin gelernt, auch kleine Pausen im Alltag zu nutzen, um sich zu erholen. »Ich kann innerhalb kürzester Zeit herunterfahren«, so beschreibt sie es selbst.
»Die Leser sollen wissen wollen, wie es weitergeht - Lisa Federle«
Urteilsfrei erzählt Federle vom Beziehungsgeflecht, das sie umgibt. Es ist ein menschenfreundlicher, interessierter und toleranter Blick ohne Verurteilungen. Da ist der Mann einer dementen Frau, der außerhalb seiner Ehe eine Geliebte hat. Für Federle eine legitime Art des Lebens. Warum soll schließlich der Mann kein Recht auf Glück haben, fragt die Ärztin. Da ist aber auch die Frau, die sich nicht mehr zu helfen weiß, als sich tot zu stellen, um die Aufmerksamkeit ihres Mannes zu erregen. Federle sucht sie als Notärztin auf und entdeckt schnell den Schwindel. Die Ärztin hört zu. Ein offenes Ohr und ein vorurteilsfreier Blick sind oft besser als manche Medizin. Das will Federle in vielen einzelnen Geschichten vermitteln. Ein Sachbuch-Ratgeber soll es aber ganz und gar nicht sein, sagt die Notärztin. Sie will auch unterhalten, Spannung aufbauen. »Die Leser sollen wissen wollen, wie es weitergeht.«
Lesungen
Das Buch »Vom Glück des Zuhörens – wie uns gute Beziehungen stark machen« ist jetzt im Knaur Verlag erschienen. Lisa Federle stellt es zusammen mit Dieter Thomas Kuhn und Philipp Feldtkeller am 28. Oktober in Stuttgart, am 18. November in Albstadt und am 17. Februar in Reutlingen vor. Die Lesung in Tübingen am 5. Oktober ist ausverkauft. Weitere Veranstaltungen sind mit Bernd Kohlhepp geplant. Die erste ist am 8. Oktober in Bad Wildbad, am 5. November kommen Federle und Kohlhepp nach Balingen. (iwa)Dabei war der Anstoß zum Buch ein denkbar profaner. Der Verlag habe sie gebeten, einen zweiten Band zu veröffentlichen. Schließlich wurde ihr erstes Werk »Auf krummen Wegen geradeaus« schnell zum Beststeller. 17 Wochen lang stand es oben auf der Bestsellerliste. Der Erfolg ist Federle gar nicht so wichtig. Sollte sich das neue Buch als Flopp erweisen, kann sie gut damit leben. »Ich stürze deshalb in keinen Abgrund.« Es geht ihr nicht um den eigenen Ruhm. Vielmehr will sie allen Mut machen, deren Leben nicht so verläuft, wie ursprünglich mal gewünscht. Und vermitteln, dass es »immer einen Weg gibt, aus schwierigen Situationen herauszukommen«.
Das hat sie selbst erlebt. Sie war elf Jahre alt, als ihr Vater starb. Das stürzte sie in eine tiefe Krise. Federle brach die Schule ab und wurde mit 17 schwanger. Sie holte Schulabschlüsse und Studium nach, zog vier Kinder groß und wurde mit 37 Jahren Ärztin. Darüber schreibt sie in ihrem ersten Buch. Die Autobiografie habe vielen Mut gemacht, erzählt Federle. Der Wunsch der Ärztin ist, dass das auch beim zweiten Band so ist. Dann ist eines ihrer Ziele erreicht. (GEA)