REUTLINGEN. »Kinderschutz ist kein Extra, kein Zusatzangebot und keine Pflichtübung«, betonte Anja Förstl jüngst auf dem TSG Gelände beim Sportzentrum. 25 Eltern waren angemeldet, aber deutlich weniger waren gekommen, um sich über das neue Kinder- und Jugendschutzkonzept der TSG zu informieren. In der Sporthalle waren rund 20 Kinder, die erste Grundzüge in puncto Selbstverteidigung kennenlernten.
Sophia Häring und Klaus Ziese von der TSG leiteten die Kinder an. Aber, wie macht man so was, wie schützt sich ein Kind vor gefährlichen Situationen? »Ganz wichtig ist es, Abstand zu halten«, sagte Ziese als jahrzehntelanger Ju Jutsu-Kämpfer. Bevor ein Kind bedrohliche Situationen erlebt, sollte es versuchen, die Distanz zu vergrößern. Was laut Ziese und Häring bei einer möglichen Gefahr immer helfe: schreien! Doch auch das wolle geübt werden, denn: Aus voller Kehle zu brüllen, andere Menschen auf sich aufmerksam zu machen – das fällt gar nicht so leicht.
Beispiele für sexuellen Missbrauch
Während die Kinder im Sportzentrum noch viel mehr über die Grundzüge der Selbstverteidigung lernten, hörten sich vor der Halle ihre Eltern jede Menge über Beispiele für sexuellen Missbrauch an – wenn Kinder etwa aufgefordert werden, sich selbst zu befriedigen. Oder wenn ein Kind aufgefordert werde, sich nackt in pornografischer Weise fotografieren zu lassen.
Bedrohliche Situationen fangen freilich schon früher an: mit Grenzverletzungen. Wenn jemand vor Kindern oder Jugendlichen etwa sexistische Witze reißt, wenn die Schutzbefohlenen unangemessen oder seltsam berührt werden. All das und noch viel mehr lernten die Erwachsenen. Für den Verein gelte, dass er Verantwortung übernehmen müsse – »besonders für die Jüngsten und Schutzbedürftigsten«, so Anja Förstl.
Initiiert hatte das Kinderschutzkonzept Lena Feldhahn, Förstls Vorgängerin im Amt und jetzige stellvertretende Vereinsjugendleiterin bei der TSG. Der Reutlinger Verein Wirbelwind war als Landkreis-Fachberatungsstelle für sexualisierte Gewalt am Start, mitgearbeitet haben zudem engagierte Ehrenamtliche aus den Abteilungen des Vereins. »Die Mischung aus externer Fachkompetenz und Erfahrungen aus dem Vereinsalltag war ein echter Gewinn«, hatte Förstl betont.
Dreijähriger Vorbereitungsprozess
Aber: Der gesamte Prozess dauerte insgesamt drei Jahre, bis das Kinder- und Jugendschutzkonzept am jetzt vorgestellt werden konnte. Angesichts von 18 Abteilungen und mehr als 4.000 Mitgliedern kein wirkliches Wunder. »Unsere größte Herausforderung ist unsere Vielfalt«, sagte Förstl über die TSG. Mannschaftssportarten wie Handball, Fußball, Eishockey zählen dazu, ebenso Einzelsportarten wie Schwimmen, Leichtathletik oder Turnen bis hin zu Kampfsportarten wie Aikido oder Judo. Nicht zu vergessen die Inklusionsabteilung.

»Jede Abteilung ist anders«, so die Vereinsjugendleiterin. »Es bringt ja nichts, wenn im Vorstand was entwickelt und den Abteilungen dann übergestülpt würde«, hatte Christoph Weiblen betont. »Das Konzept ist ein Meilenstein für den Verein«, so der stellvertretende Vorsitzende für Vereinsentwicklung bei der TSG. Er richtete seinen Dank an die Haupt- und Ehrenamtlichen, die am Werden des Kinder- und Jugendschutzkonzept mitgewirkt haben.
Was alles andere als eine leichte Aufgabe gewesen sei, wie Lena Feldhahn betonte. »Jede Abteilung ist anders, jede Abteilung hat eigene Strukturen, eigene Altersgruppen, Trainingskonzepte, Sportstätten, variable Umkleidesituationen, sogar gemischte Teams«, so Förstl. »Das Erarbeitete ist kein starres Regelwerk, sondern ein Konzept, das mit dem Verein wächst und das gelebt werden soll«, sagte Anja Förstl.
Schulungen für Mitarbeiter
»Der Schutz unserer Kinder steht im Mittelpunkt unserer Vereinsarbeit, wir müssen dafür ein Umfeld schaffen, bei dem sich alle wohlfühlen«, sagte Weiblen. Von der Württembergischen Sportjugend hatte der Reutlinger Verein für dieses Konzept ein Banner verliehen bekommen: »Kinderschutzgebiet Sportverein« ist darauf zu lesen.
»Diese Auszeichnung bekommen nur Vereine, die bestimmte Kriterien nachweislich erfüllen – nämlich ein ausgearbeitetes Schutzkonzept, definierte Ansprechpersonen und einen verbindlichen Verhaltenskodex«, sagte Förstl. Schulungen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hätten bereits begonnen ebenso wie die Verankerung des Kinderschutzes in den Strukturen des Vereins. Jugendschutz bedeute nicht Misstrauen, sondern Verantwortung, fasste Anja Förstl zusammen. »Der Schutz bedeutet: Wir schauen hin, wir hören zu, wir nehmen ernst.« (GEA)