RIEDLINGEN/PFORZHEIM. Das Landesamt für Verfassungsschutz stuft die beiden Freikirchen »Evangelische Freikirche Riedlingen« und die »Baptistenkirche Zuverlässiges Wort« in Pforzheim als »gesichert extremistisch« ein und erwähnt sie im Jahresbericht. Wie sind die beiden Glaubensgemeinschaften einzuschätzen und warum hat sie der Verfassungsschutz im Visier?
- Warum beschäftigt sich der Verfassungsschutz?
»Wir unterscheiden nicht, ob es sich bei einer Gruppierung um eine Glaubensgemeinschaft, um eine Partei oder einen Verein handelt«, sagt der Pressesprecher des Verfassungsschutzes auf GEA-Anfrage. Für den Verfassungsschutz sei entscheidend, ob sich die Agitation gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung richte. »Auch die Scientology-Organisation stufen wir als extremistisch ein, weil sie ein totalitäres Staatsverständnis hat«, so der Sprecher.
- Sind die beiden Freikirchen Verdachtsfälle oder gesichert extremistisch?
»Wenn es bei uns im Jahresbericht auftaucht und nicht anders vermerkt ist, gehen wir von einer gesichert extremistischen Gruppierung aus«, sagt der Sprecher. »Das bedeutet, dass wir auch nachrichtendienstliche Mittel anwenden dürfen«, fügt er hinzu. Verdachtsfälle würde der Verfassungsschutz normalerweise nicht veröffentlichen. Ein Sonderfall seien Parteien wie die AfD, wo bereits über den Verdacht informiert werden müsse.
- Warum ist die Baptistenkirche Zuverlässiges Wort in Pforzheim ins Visier geraten?
Die Baptistenkirche Zuverlässiges Wort ist eigentlich die deutsche Filiale einer amerikanischen Freikirche. Ihr Prediger Anselm Urban lebt laut Verfassungsschutz im US-Bundesstaat Arizona, seine Predigten werden live im Internet übertragen. Urban bedrohte in einer seiner Predigten Homosexuelle mit dem Tod: Menschen würden nicht homosexuell geboren, ihre sexuelle Orientierung sei eine Folge dessen, dass sie sich von Gott abgewandt haben. »Was ist die Lösung für Homosexualität, ist es irgendein Kurs, irgendeine Therapie? Nein, die Lösung ist die Todesstrafe. Sie sollen umgebracht werden, das ist, was die Bibel lehrt«, predigte er. Auch den der AfD nahe stehenden Theologen Lothar Gassmann bedrohte er mit einem Fluchgebet: »Lieber Herr, töte ihn. Zerbrich ihm alle Knochen und Zähne einzeln.« Auch zum Mord am Queer-Beuftragten der Bundesregierung Sven Lehmann (Grüne) soll er aufgerufen haben. Am 17. Juni 2023 bezeichnete Urban laut Verfassungsschutz den Pforzheimer OB und den Ersten Bürgermeister als »Flachpfeifen«, »Schwuchteln«, »Vieh« und griff sie mit den Worten »Fahr doch zur Hölle« und »Gib dir die Kugel« an. Anselm Urban wurde Ende 2024 wegen Volksverhetzung zu einer Geldstrafe verurteilt.
- Wie verhält es sich bei der Evangelischen Freikirche in Riedlingen?
Jakob Tscharntke, der Prediger der Freikirche in Riedlingen, verbreitet seine Predigen über das Internet und hat dort eine Reichweite von 25.000 Aufrufen. Während der Corona-Pandemie radikalisierte er sich. Abtreibungen vergleicht er mit den Morden des Nationalsozialismus. »In den Predigten werden gezielt christlich-fundamentalistische Ansichten mit der Ablehnung des Staates und demokratisch legitimierten Entscheidungen verknüpft«, schreibt das Landesamt in seinem Bericht.
- In welcher Kategorie ordnet der Verfassungsschutz die beiden Freikirchen ein?
Anders als beim Islamismus hat der Verfassungsschutz keine eigene Abteilung für christlichen Fundamentalismus. Die beiden Freikirchen tauchen in der neuen Kategorie »Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates« auf, in dem sich auch die Querdenken-Bewegung befindet.
- Befürchtet der Verfassungsschutz weitere extremistische Freikirchen?
Dazu könne er nichts sagen, sagt der Pressesprecher, weil der Verfassungsschutz keine eigene Kategorie »Freikirchen« aufführe.
- Könnten die beiden Kirchen verboten werden?
Ein Verbot der beiden in Baden-Württemberg ansässigen Freikirchen müsste Innenminister Thomas Strobl verfügen. Der Minister prüfe fortlaufend, ob die Voraussetzungen für ein Vereinsverbot vorliegen, teilt das Ministerium auf GEA-Anfrage mit. »Welche Organisationen dabei im Fokus stehen teilen wir nicht mit, da sonst der Vollzug etwaiger Verbote, die Sicherstellung von Vereinsvermögen und das Auffinden von Beweismitteln sowie deren Beschlagnahme gefährdet sein könnte«, so eine Sprecherin.
- Wie steht der Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden (BEFG) zu Pforzheim und Riedlingen?
Der BEFG hat sich bereits 2015 nach dessen abwertenden Aussagen über Flüchtlinge vom Riedlinger Prediger Jakob Tscharntke distanziert. Der Prediger repräsentiere keine der Freikirchen in Deutschland, so der BEFG. Seit Ende 2018 ist die Evangelische Freikirche in Riedlingen kein Mitglied des BEFG mehr. Die Baptistenkirche Zuverlässiges Wort in Pforzheim bezeichnet der BEFG als »Sekte«.
- Was ist überhaupt eine Freikirche?
Der Begriff bezeichnet ursprünglich ein evangelische Kirche, die vom Staat unabhängig war. Heute wird der Begriff verwendet, um sich von der Volkskirche abzugrenzen. Im deutschsprachigen Raum sind viele Freikirchen in theologischer Hinsicht als evangelikal einzustufen; es gibt jedoch ein breites Spektrum, das von fundamentalistisch bis liberal reicht. (GEA)