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Zoff im Land um zweite Fremdsprache an Schulen

Der baden-württembergische Ministerpräsident hat es wieder einmal geschafft. Winfried Kretschmann hat erneut öffentlich seine Meinung zur Sinnhaftigkeit einer verpflichtenden zweiten Fremdsprache an Schulen verkündet: nicht mehr zeitgemäß. Die Bildungsverbände reagieren teils heftig.

Ist in Zeiten von KI eine einzige Fremdsprache an Schulen ausreichend? Die Bildungsverbände im Land sind anderer Meinung.
Ist in Zeiten von KI eine einzige Fremdsprache an Schulen ausreichend? Die Bildungsverbände im Land sind anderer Meinung. Foto: Julian Stratenschulte/dpa
Ist in Zeiten von KI eine einzige Fremdsprache an Schulen ausreichend? Die Bildungsverbände im Land sind anderer Meinung.
Foto: Julian Stratenschulte/dpa

STUTTGART. »Fassungslos«, »traurig« und »falsches Signal«, so die Reaktionen der Bildungsverbände im Land auf die Aussagen von Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) beim Medienkongress »Source« in Stuttgart letzte Woche. Doch was war passiert? Kretschmann hatte sich beim Kongress offen für das Schulfach »Digitale Medienkompetenz« gezeigt. Dafür, so der 76-Jährige, müsse man allerdings ein anderes Fach sein lassen, etwa eine verpflichtende zweite Fremdsprache. »Das brauchen wir heute nicht mehr. Ich stecke mir einen Knopf ins Ohr und mein Telefon übersetzt - egal ob mein Gegenüber Spanisch, Polnisch oder Kisuaheli spricht«, erklärte er.

Der Ministerpräsident löste damit eine heftige Debatte im Bildungsbereich aus - wieder einmal. Auch beim Thema Abschaffung der zweiten Fremdsprache an Gymnasien ist der Landesvater und ehemalige Lehrer Wiederholungstäter. Schon im vergangenen Jahr hatte Kretschmann im Rahmen eines Festakts zum 75-jährigen Bestehen des Deutsch-Französischen Institutes in Ludwigsburg betont, dass man die Technik das mühsame Erlernen einer zweiten Fremdsprache wie Französisch bald ersetzen könne. Man dürfe nicht mehr glauben, dass jeder ein bisschen Französisch können müsse, sagte er und zeigte sich überzeugt: »Und dann kann er noch nicht mal ein Eis bestellen, wenn er in den Urlaub geht.«

Und auch dieses Mal erntet Kretschmann heftigen Widerspruch. Martina Scherer, Landesvorsitzende des baden-württembergische Philologenverbands, sagt, sie sei »fassungslos über die Aussage des Ministerpräsidenten, dass ein 'Knopf im Ohr' alles richten soll«. Ihrer Meinung nach sei es viel zu kurz gedacht, alle eigenen Kompetenzen an Künstliche Intelligenz (KI) abzugeben und sich damit zufriedenzugeben. Eine wesentliche Aufgabe schulischer Bildung auf höherem Niveau müsse auch weiterhin sein, sich Kompetenzen und Wissen anzueignen, um als mündiger Bürger Entscheidungen treffen zu können, so der Verband der gymnasialen Lehrkräfte. »Wenn wir nur noch User sind und keine Expertinnen oder Entwickler mehr heranwachsen können, dann gehen Fortschritt und Wissenschaft schnell an unserem Land vorbei. Soll das das politische Ziel unserer Bildung werden?«, meint Martina Scherer.

Selbstverständlich sei es notwendig, dass digitale Medienkompetenz an Schulen Raum erhalte, denn auch den sogenannten »Digital Natives«, also Personen, die mit der Digitalisierung aufgewachsen und darin geübt sind, würden diese Kompetenzen nicht in die Wiege gelegt werden, so der Verband. Der Preis dafür dürfe aber keine Absage an andere Fächer sein. Die Vorsitzende betont: »Die zweite Fremdsprache und auch die Möglichkeit, eine weitere Sprache zu erlernen, müssen weiterhin für das Gymnasium selbstverständlich sein.«

Die GEW (Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft) bezeichnet die Äußerungen von Ministerpräsident Kretschmann zur zweiten Fremdsprache an Schulen erneut als »falsches Signal«. »Natürlich wird Künstliche Intelligenz die Kommunikation verändern, gerade beim Lernen neuer Sprachen. Wer an unseren Schulen Französisch lernt, kann aber mehr als nur ein Eis bestellen. Und das sinnvolle Lernen einer Fremdsprache braucht das Gespräch untereinander«, meint GEW-Landesvorsitzende Monika Stein. Die vielen französisch-deutschen Projekte und die vielen Partnerschaften zwischen französischen und baden-württembergischen Kommunen wären ein wichtiges Fundament für Europa.

Gerhard Brand, Landesvorsitzender des VBE (Verband Bildung und Erziehung), findet die Aussagen des Ministerpräsidenten »traurig«, sie hätten ihn auch »furchtbar geärgert«. »KI darf den Unterricht nicht ersetzen«, sagt Brand. »Mit dieser Begründung könnten wir auch die erste Fremdsprache abschaffen und auch weitere Fächer wie etwa Mathematik.« Im Sprachunterricht lerne man nicht nur Sprache und Grammatik, sondern auch Dinge über das Land, die Menschen und die Kultur. »Eine KI, ein Computer, kann dies nicht leisten.« Es sei traurig, so der VBE-Vorsitzende, dass ein Ministerpräsident, der die Menschen zusammenbringen sollte, dies nicht verstehe. »Ich habe es schon einmal gesagt und ich sage es noch mal: Der Ministerpräsident hat von Unterricht so viel Ahnung wie ein Ziegelstein vom Schwimmen.«

Und was sagt das Kultusministerium zu der ganzen Aufregung? Es wiegelt ab: Aus der geplanten Stundentafel des neuen G9 könne man entnehmen, dass sowohl die erste als auch die zweite Fremdsprache einen großen Anteil in dieser einnehme. Bei den Neuerungen im Zuge der Bildungsreform werde gerade auch auf Medienbildung ein Fokus gelegt. »Wir werden eine neues Pflichtfach Informatik/Medienbildung einführen, für das Gymnasium und für alle Schulen der Sekundarstufe 1«, so ein Sprecher. (GEA)