Logo
Aktuell Grüne

Will Özdemir Kretschmann-Nachfolger werden?

Cem Özdemir wird als potentieller Nachfolger von Winfried Kretschmann gehandelt. Schon bald dürfte sich entscheiden, ob der derzeitige Bundeslandwirtschaftsminister bei den Landtagswahlen 2026 als Spitzenkandidat für die Grünen ins Rennen geht.

Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) und Ministerpräsident Winfried Kretschmann  zeigten sich im August beim Markgr
Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) und Ministerpräsident Winfried Kretschmann zeigten sich im August beim Markgröninger Schäferlauf, eines der ältesten Heimatfeste Süddeutschlands. Foto: Stefan Puchner/dpa
Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) und Ministerpräsident Winfried Kretschmann zeigten sich im August beim Markgröninger Schäferlauf, eines der ältesten Heimatfeste Süddeutschlands.
Foto: Stefan Puchner/dpa

STUTTGART. Macht er's oder macht er's nicht? Diese Frage stellen sich nicht nur viele Grünen-Anhänger im Land. Schon seit über einem Jahr wird immer wieder über die Nachfolge Kretschmanns spekuliert, der Name Cem Özdemir ist dabei stets präsent. Nun kann es nur noch eine Frage von Tagen oder Wochen sein, bis die Grünen ihren Spitzenkandidaten für die Landtagswahl 2026 offiziell bekannt geben. Özdemir ist ohne Zweifel der Wunschkandidat Kretschmanns. Doch die große Frage bleibt: Wagt der gebürtige Bad Uracher trotz schlechter Umfragewerte der baden-württembergischen Grünen den Schritt aus Berlin ins Ländle?

Schaut man sich Özdemirs Reisetätigkeiten und öffentlichen Auftritte des letzten Jahres an, wird klar: Hier tut sich was in Sachen Rückkehr. Der Bundeslandwirtschaftsminister ging da etwa Anfang des Jahres die offene Konfrontation mit protestierenden Bauern in Erlenbach (Kreis Heilbronn) und Ellwangen (Ostalbkreis) ein, zeigte dabei, dass er auch die unangenehmen Momente nicht scheut.

Es tut sich was in Sachen Rückkehr

Doch die schöneren Termine behielten die Oberhand: Er erntete Spitzkraut am Stuttgarter Stadtpalais, in einem Club der Landeshauptstadt konnten ihm junge Menschen bei einem »Bier mit Özdemir« näherkommen. Man traf den Landwirtschaftsminister bei einer Veranstaltung von Südwestmetall, bei der Architektenkammer hielt er einen Vortrag. Während Özdemirs Sommertour traf man ihn im Schwarzwald an, auf dem Stuttgarter Weindorf zeigte er sich bei Gesprächen mit Winzerinnen und Winzern.

Im August besuchte der Vielbeschäftigte zusammen mit Winfried Kretschmann dann den historischen Schäferlauf in Markgröningen. Nicht der erste gemeinsame Auftritt mit dem scheidenden Landesvater. Alle absolvierten Termine sind auf seinem Instagram-Kanal öffentlichkeitswirksam dokumentiert, dazwischen durften auch Özdemirs begeisterte Besuche in weiß-rot und mit VfB-Fanschal im Stuttgarter Neckarstadion nicht fehlen.

Özdemir als heimatverbundener Schwabe mit kleiner Brezel am Revers. Meist konservativ gekleidet, stets mit einem einnehmenden Lächeln im Gesicht. Und natürlich schwätzt er Schwäbisch. Letzten Monat dann noch ein Einblick ins Privatleben: Der 58-Jährige hat nach der Trennung von Ehefrau Pia Castro eine neue Lebenspartnerin. Eine Juristin aus Argentinien habe sein Herz erobert, ließ er die Presse wissen. Ein Foto der beiden an der Ach bei Zwiefalten gab es mit dazu. Waren all diese Termine etwa schon eine Bewerbung als Nachfolger Kretschmanns oder nur ein Herantasten an die Stimmung im Ländle? Sind die Menschen in der schwäbischen Heimat überhaupt bereit für einen möglichen Ministerpräsidenten mit türkischen Wurzeln?

Für die Grünen der beste Kandidat

»Für die Grünen ist er sicher der beste Kandidat, da er schwäbisch-türkische Migrations- und Aufstiegsgeschichte in seiner Person verbindet und für Diversität, Vielfalt, aber auch Leistungsorientierung und eine wertebasierte «Leitkultur» verkörpert«, meint der Politikwissenschaftler Michael Wehner von der Landeszentrale für politische Bildung. Özdemir stehe für die Fortsetzung des Kretschmann-Kurses und eine »pragmatische, realpolitische Ausrichtung der baden-württembergischen Grünen«. Als Kandidat einer solchen Mitte sei er in der Lage, ein Angebot für die konservativeren Wählerschichten zu machen. »Darüber hinaus ist er durch sein langjähriges bundes-, europa- und landespolitische Engagement mit weitem Abstand das bekannteste Gesicht der Grünen«, so Wehner.

Auch für den Kommunikationswissenschaftler Frank Brettschneider spricht vieles für die Person Özdemir: vor allem sein hoher Bekanntheitsgrad als Berliner Polit-Promi und seine hohen Beliebtheitswerte auf Bundesebene. »Zudem ist er rhetorisch sehr geschickt und liegt politisch auf der Linie von Winfried Kretschmann«, sagt der Professor von der Uni Hohenheim. Ein Nachteil könnte seiner Meinung sein, dass Özdemirs persönliche Vorlieben eher bei der Bundes- und der internationalen Politik liegen – und nicht in erster Linie bei der Landespolitik in Baden-Württemberg. »Das spüren Wählerinnen und Wähler. Dass er seine Kandidatur noch nicht bekanntgegeben hat, könnten einige auch als Zögern auslegen.«

»Anatolischer Schwabe« mit Hang zur großen Politik

Brettschneider ist nicht der einzige, der Cem Özdemir einen Hang zur großen Politik bescheinigt. Doch wäre es für den Sohn türkischer Einwanderer aus dem beschaulichen Bad-Urach nicht eine unglaubliche Erfolgsgeschichte, in seiner Heimat zum ersten Ministerpräsidenten mit Migrationsgeschichte aufzusteigen? Seine Eltern kamen beide als sogenannte Gastarbeiter in den 1960er Jahren nach Baden-Württemberg. Sie lernten sich in Deutschland kennen. Özdemirs Eltern sind mittlerweile verstorben. Doch der Gedanke an den Stolz seiner Eltern, sollte er tatsächlich den Sprung in die Villa Reitzenstein, den Amtssitz des Ministerpräsidenten, schaffen, könnte für den ambitionierten »anatolischen Schwaben«, wie er oft genannt wird, durchaus ein Faktor sein.

Doch Özdemir ist vor allem auch Stratege. Und klar ist momentan: Für die Grünen läuft es nicht gut. In Baden-Württemberg liegen sie in letzten Umfragen 10 Prozentpunkte hinter der CDU. Brettschneider sieht zwar durch die häufigen Auftritte Özdemirs im Land ebenfalls einen Hinweis auf seine Kandidatur, ein Beleg für den Schritt sei dies aber nicht. »Denn dann hätte er diesen Willen schon eindeutig und früher artikulieren können«, so der Kommunikationsexperte. Für Özdemir berge das Hinauszögern der Entscheidung jedoch auch Risiken. »Er läuft damit Gefahr, dass der Eindruck entsteht, Baden-Württemberg sei für ihn politisch gesehen nur zweite Wahl«, so Brettschneider. Ein Eindruck, den ihm die Wählerinnen und Wähler im Land sicherlich übel nehmen würden. (GEA)