ROTTENBURG. Was erwarten Katholiken aus Baden-Württemberg von einem neuen Papst? Die 55-jährige Birgit Kälberer ist Grundschullehrerin und Sprecherin der Reforminitiative Konzil von unten/pro concilio in der Diözese Rottenburg-Stuttgart. Sie hofft, dass ein neuer Papst die Menschenrechte innerhalb der Kirche stärkt. »Ich habe manchmal das Gefühl, Sexismus gehört in der Kirche zum Markenkern«, sagt sie. Die hiesige Diözese sei mit dem Rottenburger Modell bei der Mitsprache von Laien »weiter als andere Diözesen in Deutschland«, sagt sie.
Dass Frauen nicht zu Priesterinnen geweiht werden können, sei »nicht mehr zeitgemäß«, kritisiert die Stuttgarterin. Theologisch sei das Verbot einer Frauenweihe »ohnehin überholt«, seit Franziskus Maria von Magdala als Erstzeugin der Auferstehung anerkannt habe. »Es ist absurd, im Jahr 2025 noch für so etwas kämpfen zu müssen.« Beim ehemaligen Rottenburger Bischof, Kardinal Walter Kasper, habe sich »in dieser Frage etwas bewegt«, sagt Kälberer. Andererseits befürchtet sie, dass ein konservativer Papst wieder Türen zumacht und dann noch mehr Gläubige die Kirche verlassen. »In Stuttgart nehme ich das so wahr, dass noch mehr Leute austreten, wenn es nicht vorwärts geht«, berichtet Kälberer.
»Ich habe manchmal das Gefühl, Sexismus gehört zum Markenkern«
Martin Schockenhoff, 69 Jahre, Rechtsanwalt aus Ludwigsburg, engagiert sich ebenfalls als Sprecher der Reforminitiative. »Franziskus hat Dinge angestoßen, aber nicht umgesetzt«, sagt er. Auch vom neuen Bischof Klaus Krämer ist er enttäuscht. »Bisher hat er noch nicht die Entschlossenheit gezeigt, etwas zu ändern«, sagt Schockenhoff. Krämer sehe seine Aufgabe eher in der Strukturreform des Downsizing der Gemeinden. »Das ist aber eher eine Verwaltungstätigkeit«, sagt Schockenhoff. »Es wird Zeit, dass Krämer voranschreitet, wenn es etwa um die Rolle der Frauen geht«, sagt Schockenhoff. Zum neuen Papst meint er: »Erwartungen soll man nicht zu hoch ansetzen, dann sind die Enttäuschungen nicht so tief.«
Wiltrud Rösch-Metzler ist Diözesanvorsitzende der katholischen Friedensbewegung Pax Christi. »Wir sind inhaltlich von Franziskus gestärkt worden«, sagt sie. So sei im letzten Jahr im Vatikan ein Institut zur Gewaltfreiheit gegründet worden. Von einem neuen Papst erwartet sie, dass er sich gegen den Aufrüstungstrend ausspricht. Es sei eine »wichtige Referenz« für die Friedensbewegung, wenn sich ein Papst für Frieden und Gerechtigkeit ausspreche. Sie erinnert daran, dass Kardinal Mario Zuppi auf diplomatischem Weg erreicht habe, dass ukrainische Kinder aus Russland zu ihren Eltern in die Ukraine zurückkehren dürfen. Dass sich ein neuer Papst nicht mehr um den Frieden bemühe, kann sie sich allerdings nicht vorstellen: »Eine Kirche, die sich nur um sich selbst dreht, nur um Immobilien und Gemeindegrößen, die hat auch keine Ausstrahlung nach außen mehr«, so Rösch-Metzler.
Pater Francis Mathew Kottarathil ist Personalreferent im Bischöflichen Ordinariat in Rottenburg und vor sechs Jahren aus Indien nach Rottenburg gekommen. Er betont den Respekt, den Franziskus in Indien genossen hat – nicht nur bei den Christen dort. »Regierungschef Modi hat eine dreitägige Staatstrauer angeordnet. Die Fahnen in Indien hängen auf halbmast«, erzählt Kottarathil. »Franziskus kam aus Argentinien. Er hat in seinem Leben selbst erlebt, was Armut bedeutet«, sagt Kottarathil. Franziskus habe Indien besuchen wollen, verschob den Besuch allerdings wegen des Wahlkampfs dort. »Er hat gezeigt, dass die katholische Kirche nicht nur in Europa ist, sondern auch im Süden. Er hat auch viele Kardinäle aus nicht-europäischen Ländern ernannt«, sagt Kottarathil. »Ein kommender Papst wird diesen Weg fortsetzen«, ist er überzeugt. »Ich glaube, dass die Kardinäle vom Heiligen Geist geführt werden und das Konklave eine gute Wahl treffen wird«, sagt der Inder. Könnte der nächste Papst ein Inder sein? »Das wäre mein Traum. Vielleicht geschieht es irgendwann«, sagt Pater Francis. Die indische Perspektive sei eine ganz andere als die europäische. »Als ich vor sechs Jahren nach Deutschland kam, habe ich nicht verstanden, warum das Frauenthema hier so wichtig ist. Jetzt verstehe ich es und hoffe, dass das Diakonat der Frau kommt – vielleicht zuerst in Europa.« Bischöfe aus der Dritten Welt würden häufig nicht verstehen, warum das Thema Frauenweihe in Deutschland so wichtig sei. »Die haben dort keinen Priestermangel«, sagt der bischöfliche Personalreferent.
Uwe Grau, 58, ist Priester an der Wallfahrtskirche auf dem Bussen und war einer von 125 kirchlichen Mitarbeitern, die sich vor drei Jahren als queer outeten. Seither habe sich in kleinen Schritten einiges geändert für homosexuelle Menschen in der katholischen Kirche. »Wir haben Pastoralreferentinnen und Pastoralreferenten, die sich getraut haben, standesamtlich zu heiraten und es muss niemand mehr wegen der Segensfeiern Repressalien befürchten«, sagt Grau. Die Diözese habe zwei halbe Stellen für queer-sensibles Pastoral eingerichtet und er selbst habe jetzt auch wieder eine Anfrage für eine Segnung eines queeren Paares. Er selbst halte den Bussen für geeignet eine regionale Anlaufstelle für queere Katholiken zu werden, sagt Grau. Auch in den Beichten sei das Thema präsent. »Die Segensfeiern sind ein Anfang, aber nicht das, was wir wollen. Es sind immer noch keine Hochzeiten in Kirchen. Ein neuer Papst sollte auch an der Lehre etwas ändern«, sagt Grau.
»Ein indischer Papst wäre mein Traum. Vielleicht wird er irgendwann wahr«
Er befürchtet, dass ein konservativer Papst gewählt wird, der das Rad zurückdrehen könnte. »Das Konklave ist dieses Mal unberechenbar.« Die Europäer und Nordamerikaner stellten keine Mehrheit mehr. Franziskus habe viele Kardinäle aus Entwicklungsländern ernannt, die sich nicht einmal kennen. »Welche Gruppendynamik da entsteht, ist unklar«, so Grau. »Die Gräben sind groß«, glaubt er. Bei einigen Kardinälen aus Afrika gebe es große Ressentiments gegen nicht-heterosexuelle Menschen. »Das sind die Früchte unserer Missionare, die die Queerfeindlichkeit dorthin gebracht haben«, sagt Grau. »Wir haben aber auch in den USA Gruppierungen von jungen Priestern, die hinter das zweite vatikanische Konzil zurück wollen.« Viele Fortschritte, die es für Queere gegeben habe, seien in einer Grauzone, einem Spielraum, den der Papst den Bischöfen gegeben habe. Sie seien aber nicht durch ein Papstwort abgesichert. »Es sollte sich in der Sexualmoral nicht nur für queere Menschen, sondern beispielweise auch beim Zölibat etwas ändern«, so Grau. (GEA)
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