STUTTGART. »Wir müssen uns ideologisch freier machen, wenn wir darüber nachdenken, wie wir in Zukunft unsere Verkehrsprobleme lösen«, sagte Winfried Hermann kürzlich bei einer Podiumsveranstaltung in Rottenburg. Klar sei, dass ein wesentlicher Beitrag zur Reduktion der Treibhausgase aus der Umstrukturierung des Lastenverkehrs kommen müsse.
Allerdings habe sich gezeigt, dass es angesichts des steigenden Lieferverkehrs nicht genüge, zu fordern, mehr Lastenverkehr auf die Schiene zu verlagern. »Das wichtigste Bahnprojekt in Baden-Württemberg ist nicht Stuttgart 21, sondern der Ausbau der Rheintalstrecke für den Lastenverkehr. Wir müssten mit dem dritten und vierten Gleis dort schon lange fertig sein, aber wir haben erst die Hälfte der Schienen gebaut«, so Herrmann. »Die Bahn schafft es 40 Kilometer Schiene im Jahr zu bauen, um voranzukommen bräuchten wir ein Vielfaches mehr.« Außerdem zeige sich, dass der Schienenbau sehr teuer sei. Man müsse deshalb über folgende Alternativen nachdenken:
- Straßen mit Oberleitungen
»Als wir eine Versuchsstrecke mit einer Oberleitung für Lkws ausrüsteten, haben mich die Leute gefragt, warum wir nicht lieber Bahnstrecken elektrifizieren. Die Antwort ist einfach: Es geht schneller und billiger bestehende Straßen zu elektrifizieren«, sagt Hermann. Ein erster Modellversuch auf einer kurzen Strecke sei positiv verlaufen, allerdings wieder abgebaut worden, da er nur für begrenzte Zeit vorgesehen war. Das Ministerium bemühe sich nun, die Oberleitungen über längere Strecken zu testen und dafür Förderung zu bekommen.
- Seilbahnen
»Bei der Bundesgartenschau in Mannheim hat man gesehen, wie schnell so eine Seilbahn auf- und abgebaut werden kann«, sagt Hermann. Der Vorteil zu Straßen und Schienen sei, dass Seilbahnen kaum Platz verbrauchen und rückstandslos wieder abgebaut werden könnten. Auch seien Seilbahnmasten einfacher zu bauen als unterirdische Tunnel. »Der Nachteil von Seilbahnen ist, dass sie nur wenige Stationen haben. Meistens gibt es eine Bergstation, eine Talstation und eine Mittelstation. Man kann nicht, wie bei Bus oder Straßenbahn alle paar Straßen eine Haltestelle einrichten.« Dennoch werde in Stuttgart über eine Seilbahn nachgedacht, die etwa Pendler von Degerloch in die Innenstadt befördern könne. »Allerdings gab es da – wie fast immer in Deutschland – einen Haufen Bedenken und Einwände. Vor allem hatten die Bewohner der Halbhöhenlagen Angst um ihre Privatsphäre. Sie befürchteten, dass sie jemand von oben beobachten kann, wenn sie sich in ihren Gärten sonnen oder Rasen mähen.«
- Lieferdrohnen
»Die Zukunft der Verkehrslogistik liegt in der Luft«, sagt Hermann. Lieferdrohnen seien dafür geeignet, den Lieferverkehr und damit auch den Platz, den parkende Lieferwagen in den Fußgängerzonen verbrauchen, zu reduzieren. Auch auf dem Land könnten Drohnenlieferungen die logistische Infrastruktur verbessern.
- Zukunft braucht Geduld
»In der Verkehrspolitik bekommt man gar nichts schnell hin«, so Hermann. Man müsse ungeduldig sein, damit es überhaupt vorwärts ginge. »Ich weihe jetzt Straßen ein, die der Hans Filbinger in seiner Zeit als Verkehrsminister, also noch bevor er Ministerpräsident war, geplant und den Leuten versprochen hat.« (GEA)