Es ist diese Fassungslosigkeit, die bleibt. Und die vielen, vielen offenen Fragen. Nach zwei Verbrechen an Kindern im Südwesten an den Ostertagen richtet sich der Verdacht in beiden Fällen gegen nahe Angehörige. Mal soll sich die Mutter in Hockenheim nahe Heidelberg an die Polizei gewandt haben, in Ulm war es der Lebensgefährte der Mutter eines toten Mädchens. In beiden Fällen könnte die Suche nach den Schuldigen also schnell abgeschlossen sein. Allerdings sind auch weiter zahlreiche Fragen offen, die über diese beiden Taten von den Osterfeiertagen unbeantwortet bleiben.
Die Mutter der beiden getöteten Kinder in Hockenheim steht unter Mordverdacht, es wurde Haftbefehl gegen die 43-Jährige erlassen. Sie hat die Gewalttat an ihren Söhnen nach Angaben der Staatsanwaltschaft eingeräumt. Nach der Tat am Sonntag wandte sie sich schriftlich ans Polizeirevier Hockenheim und räumte ein, »etwas Schlimmes« getan zu haben, zitiert die Justizbehörde am Dienstag aus dem Schreiben.
In der Wohnung entdeckten Polizisten die Leichen der neun und sieben Jahre alten Geschwister. Offen ist bislang, wie die Kinder getötet wurden. Dazu solle eine Obduktion im Laufe des Dienstags Erkenntnisse bringen, sagte die Sprecherin auf Anfrage. Unklar bleibt auch noch, wer in der Wohnung lebte und wo der Vater der Kinder zur Tatzeit gewesen ist. Auch zu einem möglichen Motiv für die Tat und der Schuldfähigkeit der Deutschen äußerten sich die Ermittler noch nicht.
Derweil arbeiten auch die Ermittler in Ulm auf Hochtouren. Dort soll ein 40-jähriger Serbe die sieben Jahre alte Tochter seiner Lebensgefährtin mit einem Messer getötet haben, wie ein Sprecher der Polizei am Dienstag mitteilte. Zuvor hatte »Focus online« dies berichtet. Der Mann wurde in eine psychiatrische Einrichtung gebracht, teilten Ulmer Staatsanwaltschaft und Polizei am Dienstagabend gemeinsam mit. Der zuständige Haftrichter beim Amtsgericht habe einen Unterbringungsbefehl erlassen. Der Mann schweige und mache keine weiteren Angaben.
Auch in diesem Fall hatte die Polizei durch den mutmaßlichen Täter von dem Verbrechen erfahren: Über den Notruf der Polizei gab er am Montag an, das Mädchen im Bereich eines Schulzentrums im Stadtteil Wiblingen getötet zu haben. Dort wurde er daraufhin festgenommen. Nach Angaben der Polizei handelt es sich um »eine Tat innerhalb einer Familie«.
"Die Geständnisse wie in Hockenheim und Ulm weisen auf die Irrationalität hin"", sagt die Jugendrechtsexpertin Theresia Höynck aus Hannover. Sie hat unter anderem auch zu Tötungsdelikten an Kindern unter sechs Jahren geforscht. "Tötungen von Kindern durch ihre Eltern sind in aller Regel keine instrumentellen Tötungen, von denen man etwas hat, einen Profit, wie zum Beispiel bei einem Raubmord. Es hat einen tiefer greifenden Grund." Auf gewisse, völlig dysfunktionale Weise handele es sich um einen Hilferuf.
Nur eines von etlichen möglichen Motiven, wenn Kinder von Verwandten oder auch Bekannten umgebracht werden. »Wer für solche Taten verantwortlich ist, der ist auf jeden Fall in einer psychischen Grenzsituation.«, sagt Höynck der Deutschen Presse-Agentur. »Es sind fast immer sehr schwere Krisen, sei es vom Vater oder von der Mutter, wenn diese als Täter auftreten. Sie können überfordert oder verzweifelt sein, es kann auch Wut sein: Man will den anderen zum Beispiel nach einer Trennung massiv treffen, man will den Aufschrei des Partners oder Ex-Partners erzwingen, Rache üben.« Oft vermischten sich solche Motive auch.
Auch Psychosen verbunden mit Wahnvorstellungen und Realitätsverlust können Ursache von Kindstötungen sein, sagt Harald Dreßing, Leiter der Forensischen Psychiatrie am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim. Als weitere Motive nennt er Konflikte zwischen den Eltern - insbesondere Sorgerechtsstreitigkeiten, bei denen Kinder aus Rache gegenüber dem Partner getötet werden. »Ein Phänomen, das schon in der griechischen Mythologie in der Gestalt der kindermordenden Medea thematisiert wird.«
Mehrheitlich seien Mütter die Täter, sagt Dreßing. Etwa drei Viertel der Fälle seien Müttern zuzuordnen und ungefähr zehn Prozent Vätern. Allerdings geht es nicht um eine große Zahl: »Solche Fälle sind sehr selten«, sagt Dreßing. Nach ganz grober Schätzung auf der Basis von Hochrechnungen europäischer und US-amerikanischer Studien gibt es je nach Land ein bis zwei Fälle von Kindstötungen auf 100 000 Kinder im Jahr.
Statistiken der Ermittler geben keine Auskunft darüber, wie oft Kindern in den vergangenen Jahren Opfer ihrer Eltern oder von nahen Verwandten geworden sind. Den Zahlen des Bundeskriminalamtes zufolge war aber im vergangenen Jahr etwa jedes zehnte Opfer von Mord, Totschlag und Tötung auf Verlangen minderjährig - unabhängig vom Beziehungsverhältnis zum Täter, zur Täterin oder zu den Tätern. Von 581 Menschen, die in dieser Kategorie gezählt wurden, waren 45 jünger als 14 Jahre und 14 weitere Jugendliche. Die Zahlen sind ähnlich wie im Vor-Corona-Jahr 2019.
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