STUTTGART. Wenn man Tim Schaffarczik ein paar Tage nach der Sitzung im Rathaus fragt, ob er das große Ziel jetzt abgehakt hat, sagt er: Nein. »Es dauert einiges an Zeit, aber muss einfach mal anfangen.« Er gehört zu denen, die das Flussbaden in Stuttgart etablieren wollen. Und dazu muss man wissen: Aktuell findet man am Neckarufer in Stuttgart so gut wie keine Stelle, an der man auch bloß die Füße in den Fluss tunken kann.
Ändern wollten das in der Vergangenheit schon viele, ändern will das auch der Verein Neckarinsel, den es nun seit fünf Jahren gibt. Das ist ein Zusammenschluss aus 30 Leuten, die den Fluss zu einem Ort machen wollen, an den die Stuttgarter in der wärmeren Jahreszeit gerne gehen. Ein Ort, der mehr ist als eine Wasserstraße, die an Stuttgart vorbeifließt.
Maritimer Neckar
Der Verein pachtet eine kleine Fläche auf der Neckarinsel; ab April liefern sie dort immer sonntags einen Vorgeschmack, wie maritim es am Fluss sein kann. »Wir wollen den Neckar ins Gespräch bringen«, sagt Christine von Raven. Die Stadt hat allerdings so viele Gegenargumente, dass man sich schwer vorstellen kann, wie aus diesem schönen Sommertraum jemals Wirklichkeit werden soll.
Die Mitglieder des Ausschusses für Klima und Umwelt haben nun zumindest beschlossen, das Ziel des Vereins trotz der widrigen Umstände nicht einfach zu den Akten zu legen, sondern nach Lösungen zu suchen. In der Sitzung hatte Tim Schaffarczik gemeinsam mit Christine von Raven erklärt, dass es viele Menschen in Stuttgart gibt, die baden wollen – notfalls auf eigene Verantwortung.
Bereits im vergangenen Jahr hatte der Verein Neckarinsel die Idee einer Badeampel entwickelt. Messungen flussaufwärts sollen Auskunft über die Wasserqualität geben und ob man es wagen kann, baden zu gehen. »Das Ziel ist es, dass die Menschen eine informierte Entscheidung treffen können«, sagte Tim Schaffarczik in der Sitzung. Von diesem Sommer an soll es eine Website dazu geben. Man sei vernetzt mit Initiativen in Wien, Budapest oder sogar New York.
Kolikbakterien im Wasser
In Stuttgart gilt ein Badeverbot; dieses aufzuheben, kommt laut Gesundheitsamt einem Kraftakt gleich, zumal mit wenig Aussicht auf Erfolg. Der Neckar ist vom Grundsatz her schlicht zu dreckig, sei es durch Straßenschmutz, sei es durch die Landwirtschaft – oder durch verunreinigtes Klärwasser. Mit das größte Problem sind Kolibakterien, die normalerweise im menschlichen oder tierischen Darm vorkommen. Die Reinigungssysteme müssten flussaufwärts allesamt nachgerüstet werden. Es ist fraglich, ob die Kommunen diese Investitionen tätigen würden, damit Stuttgart Badewasserqualität hat.
»Dürfte man im Neckar baden, Sie würden mich mit der Badehose dort finden«, sagte Andreas Neft, der Leiter des Amts für Umweltschutz, im Klimaausschuss. »Ich kann da aber keine Perspektive eröffnen.« Die Mitglieder des Ausschusses haben das Thema trotzdem nicht abgehakt. Sie wollen nun ausloten, was trotz aller Widrigkeiten möglich ist.
»Es gibt viele Dinge, die man schon ändern kann«, sagt Tim Schaffarczik ein paar Tage nach der Sitzung. Beispielsweise wäre es doch was, wenn es noch weitere Orte wie die Neckarinsel in Stuttgart gäbe. »Wir merken, wie schön es am Wasser ist.« Ans Aufhören denken sie nicht. »Wir bekommen so viele positive Rückmeldungen«, sagt er. »Wir hangeln uns einfach von Erfolg zu Erfolg.«
Flussbaden ist Thema im Haus der Geschichte
Am Donnerstag, 27. März, dreht sich auch eine Veranstaltung im Haus der Geschichte ums Flussbaden, wie es den Alltag geprägt hat und noch prägt. Das passt auch zur Ausstellung »Freischwimmer«, die dort zurzeit zu sehen ist. Beginn ist um 18 Uhr im Foyer des Hauses der Geschichte, Konrad-Adenauer-Straße 16.
Bei der Veranstaltung stellt der Verein Neckarinsel zudem seinen Badeguide »Wir wollen baden« vor. Darin werden verschiedene Badeorte in der Region Stuttgart vorgestellt – von der Flussbadestelle über ein Waldbad bis zu einem versteckten Wasserfall; der Preis für den 274-seitigen Guide liegt bei 22 Euro. (GEA)