Vor fast genau zwei Jahren wurde der erste Schuss abgegeben, es folgten zahlreiche weitere, zudem gab es Drohungen und sogar einen folgenschweren Handgranatenwurf auf eine Trauergemeinde. Die blutige Fehde zweier rivalisierender Gruppen im Großraum Stuttgart sorgte monatelang für Schlagzeilen, die Polizei ermittelte akribisch. Nun arbeitet die Justiz die Taten Stück für Stück ab. Einer der ersten größeren Fälle dieser Gewaltserie wird wohl bald vor Gericht landen.
Die Staatsanwaltschaft hat gegen drei Männer Anklage wegen des Verdachts des versuchten Mordes erhoben. Zwei 20 und 21 Jahre alte Männer mit deutschem Pass sollen im März vergangenen Jahres im Stuttgarter Stadtteil Zuffenhausen auf einen Rivalen geschossen haben. Ihr mutmaßlicher und ebenfalls 20 Jahre alter Komplize mit türkischer Staatsangehörigkeit entsorgte nach Überzeugung der Anklagebehörde die Waffe.
Das Opfer, ein 34-jähriger Türke, wurde vor einem Bistro an den Beinen sowie am Rumpf getroffen und lebensgefährlich verletzt. Er bleibe voraussichtlich querschnittsgelähmt, teilte die Staatsanwaltschaft am Freitag mit. Der verletzte Türke soll eine der Führungspersonen der Gruppe sein, die dem Raum Zuffenhausen zuzuordnen ist. Die mutmaßlichen Täter gehören hingegen den Rivalen aus der Region Esslingen an.
Noch ein Fall vor Gericht
Auch ein weiterer mutmaßlicher Fall der Serie dürfte bald verhandelt werden. Verdächtigt werden ein 21-Jähriger aus dem Kosovo und seine 20 Jahre alten mutmaßlichen Komplizen mit deutscher und mit deutsch-griechischer Staatsangehörigkeit. Ihnen wird ebenfalls versuchter Mord vorgeworfen. Sie sollen im September Molotow-Cocktails durch die Scheibe eines leerstehenden Barbershops in Reichenbach an der Fils geworfen haben. Als der Laden in Flammen stand, ergriffen sie die Flucht, wie es bei der Staatsanwaltschaft heißt. Sie hätten somit »heimtückisch und mit gemeingefährlichen Mitteln die tödliche Verletzung der in den Obergeschossen wohnenden Menschen in Kauf genommen«.
Das Landgericht Stuttgart muss nun entscheiden, ob es in den beiden Fällen verhandeln wird. Dies ist nach einer Anklageerhebung üblich. Es sind bislang bereits mehrere Anhänger der beiden Gruppen in Prozessen vor dem Stuttgarter Landgericht zu teils mehrjährigen Haftstrafen verurteilt worden.
Hunderte Angehörige, Dutzende Haftbefehle
Den Gruppen - die eine wird grob der Region Esslingen, Ludwigsburg und Plochingen zugeordnet, die andere dem Stuttgarter Stadtteil Zuffenhausen und Göppingen - sollen nach früheren Schätzungen der Experten mehr als 500 meist junge Menschen angehören. Nach Angaben des Landeskriminalamts von Freitag sind bislang 67 mutmaßliche Anhänger verhaftet worden. Über 180 Durchsuchungsbeschlüsse wurden vollstreckt, 30 Schusswaffen beschlagnahmt und rund 50 Messer sichergestellt. Bislang haben Mitarbeiter der Polizei laut LKA zudem etwa 300 Gespräche geführt mit Menschen aus dem Umfeld der Gruppen.
Seit Monaten herrscht Ruhe
In den vergangenen Monaten hat die Zahl der Zwischenfälle allerdings auch deutlich abgenommen. Nach einer früheren Einschätzung von LKA-Präsident Andreas Stenger könnte das auch an den Fahndungen und Verhaftungen, an den nach wie vor laufenden Strafprozessen und ersten Urteilen liegen. Die letzte Tat stammt vom 12. Dezember, damals griffen vier bis sechs Maskierte in Stuttgart einen mutmaßlichen Gegner an und verletzten ihn lebensgefährlich. Am 11. Januar wurde in Urbach eine Handgranate gefunden. Seitdem sind keine Straftaten mehr der Serie zugeordnet worden.
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