BADEN-BADEN. »Warum noch lernen?« heißt das neue Buch des Lehrers und Bildungsinfluencers Bob Blume. Er widmet sich darin den Baustellen unseres Bildungssystems, zeigt aber vor allem auch Lösungen auf. Schule müsse wieder zu einem Ort des Lernens werden, sagt Blume. Und zwar auf eine Art und Weise, die die Schülerinnen und Schüler mitnimmt, ihre Interessen berücksichtigt und sie am Ende sogar begeistert.
Herr Blume, Ihr neues Buch beginnt mit dem Satz: »In deutschen Schulen wird nicht gelernt.« Was genau meinen Sie damit?
Bob Blume: Zunächst einmal klingt das nach einer Provokation. Man muss sich aber bewusst machen: Viele Jahre hat Schule so funktioniert, dass vorne die Lehrkraft stand und das einzige Medium im Raum war. Die Lehrkraft war der alleinige Wissensvermittler. Mittlerweile haben sich die Zeiten aber verändert. Die Lehrkraft ist nun nicht mehr das einzige Medium im Raum, jede Schülerin und jeder Schüler hat Zugang zu Wissen. Wenn Schule aber so funktioniert, dass das Lernen in Form von Hausaufgaben nach Hause ausgelagert wird, dann wird es schwierig. Deshalb sage ich: Lernen muss zentraler Bestandteil dessen sein, was wir Unterricht nennen.
»Schüler müssen verstehen, warum sie etwas lernen«
Wie sollte Lernen in Zukunft an den Schulen aussehen?
Blume: Wenn ein Schüler das neue Fifa-Spiel herunterlädt, wird er nicht warten, bis im Stundenplan »Fifa spielen« dran ist und jemand erklärt, wie das geht. Er wird es einfach spielen und üben. Und wenn es nicht gut funktioniert, wird er sich ein YouTube-Video dazu anschauen oder sich mit Leuten austauschen, von denen er weiß, dass sie es gut spielen. Reden wir über das Beispiel Gedichtinterpretation an Schulen. Wie es nicht funktioniert: Ich sage euch, wie eine Gedichtinterpretation funktioniert und Aufgabe ist es, die Interpretation zuhause zu schreiben. Sondern: Ihr guckt euch zuhause ein YouTube-Video an, wie eine Gedichtinterpretation geschrieben wird. Dieses Video können die Schüler schauen, wann sie wollen, wo sie wollen und wie oft sie wollen. Fragen dazu kann ich ihnen im Unterricht beantworten, dafür bin ich als Lehrkraft da. Wenn es dann um das Schreiben selbst geht, muss dies in der Schule passieren. Das bedeutet es, den Prozess in den Mittelpunkt zu stellen. Das Lernen, der Aneignungsprozess, muss in der Schule passieren und darf nicht als Hausaufgaben ausgelagert werden.

Hat dies alles Auswirkungen auf den »klassischen Unterricht«, wie wir ihn seit Jahrzehnten kennen?
Blume: Wir müssen eine Sache feststellen: Die meisten Lehrkräfte sind keine Lernexperten. Ich selbst habe in meinem gesamten Studium nicht ein einziges Seminar belegt, wo es ums Lernen ging. Ich kann mich vor eine Klasse stellen und diese eine Dreiviertelstunde zulabern, aber dann haben die Schüler nichts gelernt. Wir alle wissen, dass Lernen immer über eine eigene Tätigkeit vonstattengeht. Die Lehrkraft hat dabei eine ganz, ganz wichtige Aufgabe: Leidenschaft zu entfachen, Interesse für den Lernprozess der Schüler zu haben und sie zu inspirieren. Die Schülerinnen und Schüler müssen aber vor allem auch verstehen, warum sie etwas lernen.
Haben Sie hierfür ein Beispiel?
Blume: Ich nehme eines aus meinem Fachbereich: Das Trauma der Schülerschaft im Fach Deutsch ist die sogenannte Gedichtinterpretation. Das ist schlimm, denn in den Bildungsplänen steht, Schüler sollen diese als Form der verdichteten Sprache, als Kulturzugang kennenlernen. Wenn mir beim Anblick eines Gedichtbandes später aber als erstes einfällt: »Gott sei Dank, nie wieder!«, dann hat die Bildung hier etwas falsch gemacht. Gleichzeitig hat aber der Kleinkünstler Bodo Wartke mit dem Song »Barbaras Rhabarberbar« mit Rhythmus, Assonanzen und Stabreimen einen Welthit gelandet, zu dem sogar Amerikaner tanzen oder Rhabarberkuchen backen. Manchmal braucht es eine Tür, durch die Schüler den Zugang zu etwas finden. Und diese finden Lehrkräfte wie beim Beispiel von »Barbaras Rhabarberbar« oft auch auf Social Media.
» Die meisten Lehrkräfte sind keine Lernexperten«
Sie stellen in Ihrem Buch die Frage, ob Lehrpersonen verzichtbar seien. Wollen Sie sich etwa selbst abschaffen?
Blume: Ich stelle viele Fragen, die erst einmal banal erscheinen. Braucht man noch Unterricht, braucht man noch Prüfungen, braucht man noch Lehrpersonen? Natürlich sind Lehrpersonen nicht verzichtbar. Aber die Frage ist: Wann sind sie verzichtbar? Wenn sich Lehrkräfte rein als Wissensträger und Wissensvermittler sehen, dann brauchen wir sie nicht mehr. Lehrpersonen sind dann nicht verzichtbar, wenn sie die Dinge tun, die für einen wirkungsvollen Unterricht sorgen. Eine Lehrkraft sollte nicht Dirigent, sondern Mentor sein. Die Interessen der Schülerinnen und Schüler sollten im Unterricht berücksichtigt werden. Ich brauche die Lehrkraft also nicht für das Wissen, ich brauche sie aber, um zu verstehen, wie ich dieses Wissen finde und was ich mit dem Wissen anfange.
Wie sollte die Schule von morgen, Sie nennen sie in Ihrem Buch die »neue Schule«, aussehen?
Blume: Wir haben jetzt sehr viel über Lehrkräfte gesprochen. Aber dass Schulen so sind wie sie sind, hat auch damit zu tun, dass Eltern oftmals eine Schule einfordern, wie sie sie selbst kennengelernt haben. Doch Bildung rückwärtszudenken ist immer ein Problem. Wir müssten eigentlich dafür sorgen, dass Schulen die schönsten Orte in einer Stadt sind. Schule muss zum Lernort werden. Wenn die Türe aufgeht, steht da nicht der Dompteur, der dafür sorgt, dass alle zur selben Zeit dasselbe machen. Die neue Schule hat Lernräume, es gibt Räume, um miteinander ins Gespräch zu kommen. Es gibt viele Angebote im musischen, im literarischen und künstlerischen Bereich. Und es gibt Lehrpersonen, deren zentrales Anliegen der Mensch ist. Eine gute Schule achtet und beachtet jeden Einzelnen. Lernen muss über einen Fokus hinausgehen, in dem es nur darum geht, abprüfbare Inhalte zu vermitteln. Eine Schule der Zukunft nimmt jeden mit und konzentriert sich auf den Lernprozess.
»Lehrkräfte müssen inspirieren und Leidenschaft entfachen«
Wie hoffnungsvoll sind Sie, dass sich an unseren Schulen in den kommenden Jahren Dinge zum Positiven verändern werden?
Blume: Ich bin hoffnungsvoll, denn mein Buch ist voll von Beispielen, wie meine Vorstellungen von einer Schule von Morgen jetzt schon durchgeführt werden. Es gibt zahlreiche geniale Initiativen, die dafür sorgen, dass Schülerinnen und Schüler mitgenommen werden. Es gibt zahlreiche Schulen, die jetzt schon hohe Leistungen bei einer hohen Diversität bringen. Auch KI wird teilweise schon eingebunden. Deshalb ist mein Buch auch keine Utopie, sondern der Versuch aufzuzeigen, was in Deutschland schon umgesetzt wird. Ich bin also hoffnungsvoll, da gewisse Veränderungsprozesse bereits im Gange sind und ich hoffe, dass ich selbst auch einige Veränderungsprozesse anstoßen kann. Ich habe aber keine Hoffnung, dass der geforderte große Wurf aus der Politik kommt. Bildung hängt von Legislaturperioden ab, und davon, inwieweit man willens ist, in sie in einem großen Umfang zu investieren. Hier sehe ich leider schwarz. (GEA)
Zur Person
Bob Blume (42) ist Lehrer, Sachbuchautor, Blogger, Podcaster und Bildungs-Influencer auf Social Media. Blume studierte Germanistik, Anglistik und Geschichte in Freiburg. Er arbeitet als Oberstudienrat an einem Gymnasium in Bühl bei Baden-Baden. 2022 gewann er den Award »Blogger des Jahres«. 2023 wurde Blume im Rahmen des Politikawards als einer von 15 »Young Thinkers« ausgezeichnet. (kali)