BALINGEN. »Ich weiß gar nicht, wie ich mich fühlen soll«, sagt Dirk Bamberger am Mittwochvormittag. Er hat den Entschluss gefasst, seine Diskothek im Balinger Gewerbegebiet Gehrn Ende Mai zu schließen – 32 Jahre lang war erst der »Treffpunkt«, dann unter neuem Namen das »Top10«, eine Institution mit einem großen Einzugsradius. Menschen aus dem Zollernalbkreis, aber auch aus dem Schwarzwald, der Bodensee- und Neckar-Alb-Region sind nach Balingen zum Feiern gekommen. Es ist bereits der zweite »Top10«-Standort, der dicht macht. Im August 2021 wurde bekannt, dass das beliebte Tanzlokal in Tübingen zu bleibt.
Bamberger identifiziert mehrere Faktoren
In Balingen habe er viele Dinge versucht, »das irgendwie zu retten«, den Betrieb weitergehen zu lassen. Es waren mehrere Faktoren, die ihn letztendlich zu seinem Entschluss gebracht haben. Eine davon sind die Nachwirkungen der Corona-Pandemie. Zwei Jahre lang war der Club geschlossen. »Das war einfach zu lange«, so Bamberger. Und er habe einen Wandel bemerkt: Die jungen Menschen von heute, das »Top10« lebt von den 18- bis 25-Jährigen, treffen sich – nicht zuletzt pandemiebedingt – heute eher im Privaten. Ausgehen hat nicht mehr den Stellenwert wie noch vor einigen Jahren.
»Sie haben sich anders eingerichtet«, sagt Bamberger und betont, das ohne Wertung festzustellen. Ins »In-den-Club-Gehen« sei diese Generation gar nicht hineingewachsen. Dieser »Trend« hatte dann aber Auswirkungen auf die Besucherzahlen in der Balinger Traditionsdiskothek; die jungen Erwachsenen, das Hauptpublikum, blieben aus. Der für knapp 1900 Gäste zugelassene Club lebe einfach davon, dass er voll ist, merkt er an.
Dass ihm die Entscheidung, die Reißleine in Balingen zu ziehen, schwergefallen ist, merkt man ihm an. »Es ist sehr emotional für mich«, meint der Gastronom, der in seinen Job von Kindesbeinen an hineingewachsen ist, war doch sein Vater schon Vorreiter in der Diskothekenwelt der Region. »Das ist alles sehr, sehr traurig.« Andererseits blicke er gerne auf die vergangenen 32 Jahre zurück, von Anfang an war er im »Treffpunkt« mit dabei. Und auch heute noch, bald 60, sei er glücklich, wenn er vor Ort die feiernden Menschen und deren fröhliche Gesichter sehe.
Nochmal alles geben
Es habe eine große Besprechung mit seinem Team gegeben. Über 100 Aushilfen, vorwiegend Minijobber, sind neben den Festangestellten im »Top10« Balingen beschäftigt. Ein schwerer Schritt für ihn, wie er sagt. »Ich hatte immer viele tolle Mitarbeiter.« Alle seien »total traurig«, hätten aber trotzdem zugesichert, in den kommenden Wochen noch mal alles zu geben und den Gästen zum Abschied eine schöne Zeit zu ermöglichen. Sie sind größtenteils gekündigt. Bamberger hofft, dass sie eine andere gute Stelle finden und sichert zu, hier bei Bedarf zu unterstützen.
Das Programm für die Zeit bis Ende Mai, das jung und alt ansprechen soll, werde derzeit erstellt und in der kommenden Woche veröffentlicht. Und, das verrät Bamberger schon, es wird am Pfingstsonntag noch einmal eine der beliebten Ü30-Partys geben. Das dürfte vor allem die einstigen Stammgäste freuen. Für viele war der Bamberger‘sche Club wie ein zweites Zuhause, etliche Menschen haben hier ihre Partner kennengelernt und damit den Grundstein für eine Familie gelegt, neue Freundschaften geschlossen, blickt er zurück.
Über sechs Millionen Gäste
Und natürlich unzählige Partynächte gefeiert: Hochgerechnet über sechs Millionen Besucher hatten »Treffpunkt« und »Top10« in den vergangenen 32 Jahren. Ein Erfolgsfaktor des Balinger Clubs war laut Bambergers Ansicht die Beständigkeit trotz des stetigen Wandels. Auf Trends und neue angesagte Musikrichtungen wurde in den vergangenen drei Jahrzehnten reagiert. Und auf den Wandel reagiert Bamberger nun mit der Schließung.
Wie es nach dem letzten Öffnungstag Ende Mai weitergeht, ist laut Bamberger noch komplett offen. Das will er auf sich zukommen lassen und sich erst mal auf die nächsten Wochen konzentrieren. »Es wäre schön, wenn es irgendwann irgendwie weitergeht«, bemerkt er. Aber in welcher Form und unter welcher Regie, das stehe Stand jetzt noch in den Sternen. Ein Gedanke, mit dem er sich ebenfalls befassen will: Wie geht es mit dem inklusiven Event »Come together – dance together«, das er zusammen mit der Lebenshilfe Zollernalb etabliert hat, weiter?
Der Standort in Singen bleibt
Was feststeht: Die Verwaltung, in der einige Mitarbeiter übernommen werden, bleibt jedenfalls in dem Gebäude auf Gehrn, dessen Eigentümer Bamberger ist. Denn am Bodensee geht es mit dem »Top10« und dem »Erdbeermund« in Singen weiter. Die beiden Betriebe wurden vor kurzem in einem Gebäude zusammengelegt, aber voneinander getrennt untergebracht. »Dort will ich meine Energie reinstecken, wenn hier geschlossen ist«, sagt Bamberger. »Ich brenne immer noch für die Branche und finde es nach wie vor wichtig, dass es Clubs gibt.«
Ein Ort, um dem Alltag zu entfliehen, an dem Leute zusammenkommen, zusammen Musik hören und tanzen. Das verbinde und stärke das Gemeinschaftsgefühl. Er formuliert hier auch einen Auftrag an die junge Bevölkerung: »Ich bin mir sicher, dass Clubs eine Zukunft haben, sterben wird die Branche nicht.« Dafür werde er auch weiterhin im Verband kämpfen, bekräftigt der Unternehmer. In Balingen habe er aber »leider einen Schlussstrich ziehen müssen«. (GEA)