STUTTGART/REUTLINGEN. Baden-Württemberg ist Schlusslicht bei der größten Impfaktion der deutschen Geschichte. Die Impfquote liegt gerade mal bei 1,2 Prozent. In einigen Bundesländern wird prozentual sogar mehr als doppelt so viel geimpft. Das verwundert, denn alle Bundesländer erhalten, bezogen auf den Bevölkerungsschlüssel, die gleiche kleine Menge an Impfstoffdosen.
Wer wie viele Personen impft, veröffentlicht das Robert Koch-Institut (RKI) im täglich aktualisierten Impfmonitoring. Bis einschließlich Donnerstag waren es im Südwesten insgesamt 146 800 Menschen, was ziemlich genau 1,2 Prozent der 11,1 Millionen Einwohner von Baden-Württemberg entspricht. In Bayern waren es zum selben Zeitpunkt schon 1,8 Prozent (236 541 Geimpfte). Spitzenreiter ist Mecklenburg-Vorpommern mit einer Impfquote von 2,8 Prozent, gefolgt von Schleswig-Holstein und Rheinland-Pfalz mit je 2,6 Prozent. Nur unwesentlich besser als Baden-Württemberg ist allerdings Hessen (1,3).
Ein kapitaler Fehlstart also? Hinter den Zahlen verbergen sich unterschiedliche Herangehensweisen. Baden-Württemberg sei eines der wenigen Bundesländer, das garantieren könne, dass die notwendige zweite Dosis für jeden Geimpften zurückgelegt ist, heißt es aus dem zuständigen Sozialministerium in Stuttgart. Die Hälfte jeder Lieferung werde für die Biontech-Zweitimpfung zurückgehalten. Dafür habe man reichlich Prügel einstecken müssen, sagt ein Ministeriumssprecher gegenüber dem GEA. Doch das Land bleibt bei seiner Impftaktik.
Lucha bleibt bei seinem Kurs
In Pressemitteilungen verwies das Land auf die Lieferkette. Sozial- und Gesundheitsminister Manne Lucha (Grüne) versicherte, dass jeder Impfstoff, der in Baden-Württemberg ankommt, sofort vergeben werde. Vergeben heißt dann aber offenbar nicht auch geimpft.
Dafür nimmt man das Chaos bei den Anmeldungen in Kauf. Die Leute verbringen Stunden, um telefonisch durchzukommen, um dann zu erfahren, dass derzeit keine Impftermine vergeben werden. Abgesehen davon, dass die Telefonnummer der Kassenärztlichen Vereinigung für die Anmeldungen eigentlich dem ärztlichen Bereitschaftsdienst außerhalb der Sprechstundenzeiten vorbehalten war. Auch Ärzte ärgern sich, dass nun die Impfaktion über diese bundesweite Nummer abgewickelt wird.
Lucha bedauert die Situation: »Wir selber sind genauso enttäuscht und frustriert wie die Menschen, die sich jetzt vergeblich um einen Termin bemühen. Für das zweite Quartal haben uns die Hersteller und der Bund dann sehr viel mehr Impfstoff in Aussicht gestellt.« Im Stuttgarter Ministerium fühlt man sich nach weiteren Meldungen im Kurs bestätigt, wonach Biontech/Pfizer überraschend angekündigt hatte, dass man in der nächsten Woche nur 42 Prozent weniger als die angekündigten Impfdosen liefern könne.
Während in Deutschland sogar darüber diskutiert wird, ob die notwendige zweite Impfung womöglich bis zu drei Monate hinausgezögert werden kann, um möglichst vielen Menschen der ersten Risikogruppe die erste Impfdosis zu geben, die bereits einen gewissen Schutz gewährt, starteten im Land jetzt erst – wie in Reutlingen – die Kreisimpfzentren.
Interessant sind auch die Zahlen der bislang in Alten- und Pflegeheimen Geimpften, die doch Priorität haben sollten. Auch da liegt Baden-Württemberg hinten (26 000). Das einwohnermäßig drittgrößte Bundesland liegt da selbst bei den absoluten Zahlen nur an sechster Stelle. In Nordrhein-Westfalen wurden schon mehr als viermal so viele Heimbewohner gepiekst (inzwischen über 118 000), in Bayern fast dreimal so viele (68 000). Auch in fast allen anderen Ländern wird prozentual mehr in Alten- und Pflegeheimen geimpft als im Südwesten. Sie haben sich bei der Impfung prioritär für die Heime entschieden.
Versteht man das unter dem prioritären Schutz für die Pflegeheime? Denn auch ein Vergleich zwischen der zur Verfügung stehenden Zahl der Impfdosen und den tatsächlich in Heimen verimpften Dosen zeigt: In Bayern wurde fast jede dritte Dosis in Pflegeheimen verimpft, in Nordrhein-Westfalen und Berlin beinahe jede Zweite. In Baden-Württemberg dagegen nur jede Fünfte. Liegt uns im Land das Wohl der Heimbewohner also weniger am Herzen?
Lucha versucht zu erläutern: »Wir haben viel zu wenig Impfstoff und können über die Kreisimpfzentren zunächst nur knapp 600 Menschen pro Woche impfen – darunter auch Impfungen für Krankenhauspersonal und in Alten- und Pflegeheimen durch mobile Impfteams. Das bedauern wir sehr.«
Der unbestrittene Engpass wird durch die Taktik des Landes allerdings noch verstärkt. Tatsächlich gibt es bundesweit unterschiedliche Schwerpunkte, was das Impfen angeht. In NRW werden die Menschen in Alten- und Pflegeheimen sowie Personen mit beruflicher Indikation geimpft, also medizinisches Personal und Pflegepersonal. Menschen über 80 Jahre beispielsweise werden in NRW noch nicht geimpft. In Baden-Württemberg sind es dagegen vor allem Personen dieser Gruppe der über 80-Jährigen. Und in Niedersachsen und Schleswig-Holstein werden speziell auch Personen mit medizinischer Indikation geimpft.
Ziemlich unbefriedigend
Der Minister bestätigt die Statistik: »In den ersten Wochen haben wir uns stark auf die über 80-Jährigen konzentriert, in dieser Gruppe gibt es ja leider auch die meisten schweren Krankheitsverläufe und die meisten Todesfälle. Wir werden jetzt auch einen stärkeren Fokus auf die Mitarbeitenden in Krankenhäusern und in der Pflege legen.« Und weiter: »In Baden-Württemberg sind zurzeit rund eine Million Menschen berechtigt, geimpft zu werden. Aber nur 7 000 Menschen können wir zurzeit impfen, mehr Impfstoff haben wir nicht. Das ist nicht befriedigend.«
»Wir sind froh, dass wir in dieser Woche jetzt auch die 50 Kreisimpfzentren im ganzen Land öffnen können. Damit haben die Menschen die Möglichkeit, sich auch in ihrer Nähe impfen zu lassen«, sagt er. Das klingt komisch angesichts der Mitteilung des Ministeriums, dass pro Kreisimpfzentrum im Moment leider nur rund 150 Impftermine pro Woche vergeben werden können, auch wenn 800 Impfungen am Tag möglich wären. (GEA)