Nach den vergangenen trockenen und heißen Wochen schlagen Forstbesitzer, Förster und Wissenschaftler Alarm: Sie warnen vor einer gewaltigen Welle von Borkenkäfern in den baden-württembergischen Wäldern. Der Befall steige weiter rasant und sei derzeit in einigen Regionen bereits doppelt so hoch wie zum gleichen Zeitpunkt im vergangenen Jahr, bilanziert die Forstliche Versuchs- und Forschungsanstalt (FVA) Baden-Württemberg.
Dabei handele es sich weitgehend um Tiere, die den Winter überlebt hätten und weniger um erste Jungkäfer, die erst mit Beginn der wärmeren Tagen ausgeschwärmt sind. »Das ist das Erbe des vergangenen Jahres, das hatten wir befürchtet«, sagt FVA-Experte Markus Kautz in Freiburg. »Der Effekt des laufenden Sommers wird erst noch kommen.«
Auch der Landeswaldverband schaut besorgt auf die Ergebnisse der jüngsten Zählungen beim sogenannten Borkenkäfer-Monitoring. »Die Fichten sind bereits geschwächt, das Futter für die Borkenkäfer liegt buchstäblich bereit«, sagt Verbandssprecher Ulrich Potell. »Die bisherigen Zahlen zeigen, dass wir auf einem besorgniserregenden Weg sind.«
Somit scheinen sich die Hoffnungen vieler Waldbesitzer nach dem kühlen und nassen Frühling nicht zu erfüllen. Im Gegenteil: Die Zahlen explodieren geradezu. »In den vergangenen Wochen hatten wir stets Temperaturen zwischen 16,5 und 30 Grad. Genau das braucht der Borkenkäfer«, sagt Potell. »Jetzt rollt eine riesige Welle auf uns zu.«
Der Befall von möglicherweise mehrere Milliarden Borkenkäfern wird aus Potells Sicht so viel preiswerteres Schadholz auf den Markt werfen, dass dies auch die Holzpreise belastet. »Die sogenannte zufällige Nutzung, also die umgewehten oder befallenen Bäume, die weg müssen, liegt bereits jetzt doppelt so hoch wie im selben Zeitraum des vergangenen Jahres.«
Befallene Bäume müssen so schnell wie möglich erkannt, geschlagen und aus dem Wald gebracht werden, fordert der FVA-Experte Kautz. Das allerdings könnte angesichts des starken plötzlichen Befalls schwer werden, denn Hinweise auf Borkenkäfer wie frisches Bohrmehl müssen mit bloßem Auge gesucht werden.
Die Folgen eines solchen Einschlags sind für Waldbesitzerinnen und Waldbesitzer drastisch: Schlagen sie noch nicht erntereife Bäume ein und werfen sie auf den Markt, sind sie häufig noch nicht ausgewachsen und erzielen schlechtere Preise. Die »Käferflächen«, die ansonsten über einen längeren Zeitraum auf natürliche Weise hätten verjüngt werden können, müssen zudem teuer und zeitraubend wieder aufgeforstet werden.
Der aktuelle Sommer ist ganz nach dem Geschmack des Borkenkäfers: Denn je wärmer und trockener die Tage daherkommen, desto stärker vermehren sich die Schädlinge. Sie bohren sich in die Bäume und legen ihre Eier unter der Rinde ab. Nach dem Schlüpfen ernähren sich die Larven von der Bastschicht des Baums. Diese dünne Schicht unter der Rinde ist aber das lebenswichtige Adersystem des Baums. Darin werden Wasser und Nährstoffe transportiert. Wenn die Schicht zerstört wird, stirbt der Baum.
Weil die Temperaturen immer früher im Jahr steigen und es länger warm bleibt, haben Borkenkäfer mittlerweile oft ausreichend Zeit für eine dritte Generation. Es überwintert also eine zunehmend größere Zahl, die auf immer schwächere Bäume trifft.
In Zeiten von Dürre und anderen Wetterextremen kämpfen Fichten und andere Arten generell ums Überleben, viele sind durch Pilzbefall angeschlagen und bringen keine Energie mehr auf, um sich mit Harz gegen Angriffe der Insekten zu verteidigen. Betroffen sind neben Fichten, auf die es die Borkenkäferart Buchdrucker abgesehen hat, auch Douglasien, Lärchen und Tannen.
Sorgen machen sich die Waldbesitzer auch, weil die Borkenkäfer zunehmend in die höheren Lagen eindringen, in denen ihnen das wärmer werdende Klima von Jahr zu Jahr mehr zusagt. »Diese Höhenlagen werden uns als Waldgebiete langsam ausgehen«, sagt Potell. »Es wird ein Driften der Standorte geben, es werden sich nicht mehr alle Regionen für den Wald eignen.«
Die Forstkammer Baden-Württemberg appelliert an die Politik: »Die Wälder werden sich verändern«, sagt Geschäftsführer Jerg Hilt. »Das machen sie entweder drastisch oder wir steuern es, so gut es geht.« Alleine schafften dies die privaten und kommunalen Waldbesitzer allerdings nicht.
Doch die auf fünf Jahre angelegte Sonderfinanzierung von Bund und Land laufe Ende des Jahres aus - das sind Mittel, die für die Wiederaufforstung ebenso wie für die Lagerung von Schadholz und für die Suche von Borkenkäfern genutzt wurden. »Bislang haben wir kein Zeichen bekommen, wie es da weitergeht«, sagt Hilt.
Ministerium für Ländlichen Raum zum Wald
Forstliche Versuchs- und Forschungsanstalt Baden-Württemberg zum Borkenkäfer
Aktuelles Borkenkäfer-Monitoring der FVA
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