Bei der Siegerehrung sang Darja Varfolomeev inbrünstig die deutsche Hymne mit. Mit viermal Gold in allen vier Geräte-Finals hat die erst 16 Jahre alte Ausnahme-Athletin bei den Weltmeisterschaften in der Rhythmischen Sportgymnastik in Valencia Historisches geschafft: Nie gewann eine deutsche Gymnastin mehr WM-Titel. »Vier Goldmedaillen, das ist unfassbar. Ich kann das einfach nicht glauben«, sagte die gebürtige Russin, die mit zwölf Jahren ohne ihre Eltern - und ohne die Sprache zu sprechen - nach Deutschland gekommen war.
Durch ihre glanzvollen Auftritte hat sie sich auch in die Favoritenrolle für den abschließenden Mehrkampf an diesem Samstag katapultiert. Dort kann sie schaffen, was ihr zuvor schon Anfang Juli bei den deutschen Meisterschaften gelungen war: Fünf Titel zu gewinnen. »Mehrkampf ist das Wichtigste. Da versuche ich, aufs Treppchen zu kommen. Das ist mein Traum«, hatte die Schülerin aus Schmiden bereits vorher gesagt.
Nach den Siegen mit dem Ball und dem Reifen zum WM-Auftakt war Varfolomeev auch am Donnerstag in den Finals mit den Keulen und dem Band nicht zu bezwingen. Mit Sicherheit, Lockerheit und Eleganz überzeugte sie die Wertungsrichter und verzauberte die Zuschauer auf den gut gefüllten Rängen. Erst verteidigte sie mit 34,350 Punkten ihren Keulen-Titel aus dem Vorjahr. Anschließend siegte sie souverän mit 33,350 Punkten auch mit dem Band.
Dabei turnte Darja Varfolomeev die deutlich höchsten Schwierigkeiten aller jeweils acht Starterinnen. »Wenn sie bereit ist, genießt sie es, im Wettkampf zu turnen. Sie hat irgendwie Spaß dabei. Die Schwierigkeiten sind sehr hoch bei ihr. Sie ist jetzt schon langsam beim Maximum der Schwierigkeiten«, sagte ihre Trainerin Yuliya Raskina. Auf der »Kiss and cry«-Couch formten sie und ihr Schützling, der meist nur Dascha gerufen wird, mit ihren Händen Herzchen fürs begeisterte Publikum und umarmten sich freudig. »Ich bin sehr stolz, auch auf das Publikum, das heute noch lauter war als gestern. Es ist so schön, so viele deutsche Flaggen zu sehen«, sagte Varfolomeev.
Für den Deutschen Turner-Bund (DTB) ist das Ergebnis schon jetzt historisch. Bislang war Carmen Rischer mit dreimal Gold und dreimal Silber bei Weltmeisterschaften in den 1970er-Jahren die erfolgreichste deutsche Gymnastin. Varfolomeev hat nun mit vier Titeln bei einer WM sowie WM-Gold mit den Keulen, Silber im Mehrkampf, mit dem Ball und im Team sowie Bronze mit dem Reifen 2022 in Sofia die Bilanz weit übertroffen. Am Freitagabend gab es überdies wie im Vorjahr Silber in der Team-Wertung gemeinsam mit Margarita Kolosov (Potsdam) sowie der Gruppe aus Anja Kosan (Berlin), Daniella Kromm und Alina Oganesyan (beide Schmiden), Hannah Vester (Oppau) und Emilia Wickert (Söflingen).
Überdies sicherte Margarita Kolosov aus Potsdam dem DTB als Zehnte der Mehrkampf-Qualifikation den zweiten Startplatz bei den Olympischen Spielen im nächsten Jahr in Paris, nachdem Varfolomeev als WM-Zweite im Mehrkampf im Vorjahr bereits einen Quotenplatz erobert hatte. »Die vier WM-Titel von Dascha sind außergewöhnlich. Ihre Leichtigkeit und ihre exzellenten Vorstellungen stechen hervor, aber nicht minder ist die Performance von Margarita einzuschätzen, auf der viel Druck lastete, weil sie den zweiten Quotenplatz für die Olympischen Spiele in Paris holen sollte«, sagte DTB-Sportdirektor Thomas Gutekunst.
Nach zwei Wettkampftagen der WM hat Darja Varfolomeev bereits alle Erwartungen übertroffen und könnte in der letzten Entscheidung noch einen draufsetzen. Die Teenagerin qualifizierte sich mit 102,600 Punkten als Zweite für das Mehrkampf-Finale, obwohl sie im Vorkampf niedrigere Schwierigkeiten präsentiert hatte als in den Einzel-Entscheidungen. Beste war die WM-Dritte Stiliana Nikolowa (Bulgarien/104,300), Dritte der Ausscheidung war Titelverteidigerin Sofia Raffaeli (Italien/101,800). Margarita Kolosov erreichte in der Vierkampf-Qualifikation mit Ball, Keulen, Band und Reifen als Zehnte 95,950 Punkte.
Mitteilung Olympia-Qualifikation Fig
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