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Viele Ordnungsrufe: AfD größter Störenfried im Parlament

Geht es im Landtag zu ruppig zu, erteilen die Vorsitzenden Ordnungsrufe. Eine Partei führt die Liste deutlich an - mit Kalkül, glaubt ein Kommunikationswissenschaftler.

AfD größter Störenfried im Landtag
Abgeordnete sitzen im Plenarsaal bei einer Landtagsdebatte. Foto: Bernd Weißbrod/DPA
Abgeordnete sitzen im Plenarsaal bei einer Landtagsdebatte.
Foto: Bernd Weißbrod/DPA

Pöbeleien, Beleidigungen, Hetze - der Ton in der Gesellschaft wird immer rauer. Davon bleibt auch der baden-württembergische Landtag nicht verschont. Die gereizte Stimmung geht dort vornehmlich auf das Konto der AfD, die seit 2016 im Parlament vertreten ist. Sieben von zehn Ordnungsrufen in der laufenden 17. Wahlperiode seit 2021 galten der AfD. CDU-Fraktionschef Manuel Hagel kassierte - Stand März 2024 - zwei Ordnungsrufe, der liberale Abgeordnete Christian Jung einen. Der Rest entfiel auf AfD-Parlamentarier. Die Entwicklung im Südwesten gleicht der im Bundestag, wo 30 der 51 Ordnungsrufe im vergangenen Jahr an die AfD gingen. Deren Abgeordnete Beatrix von Storch (8) und Stephan Brandner (6) nahmen die ersten Plätze ein.

Verstößt eine Abgeordnete oder ein Abgeordneter gegen die Regeln in der Geschäftsordnung des baden-württembergischen Landtags, so können die seit 2016 amtierende Landtagspräsidentin Muhterem Aras (Grüne) oder ihre Stellvertreter Wolfgang Reinhart (CDU) und Daniel Born (SPD) Ordnungsrufe erteilen. Oft reagieren sie auf persönliche Beleidigungen und Vergleiche mit der Nazizeit. Auch die Sitzung störende laustarke Verbalattacken können sanktioniert werden. Neben dem Ordnungsruf kann einem Störenfried das Wort entzogen werden. Bei grober oder anhaltender Störung kann die Präsidentin die Sitzung unterbrechen oder aufheben.

Die AfD-Fraktion und aus ihr ausgetretene Fraktionslose haben von 2016 bis 2021 die Zahl der Störungen durch die Decke schießen lassen. Von 56 Ordnungsrufen ergingen einer an einen Grünen-Abgeordneten, 14 an die AfD und 41 an Fraktionslose. Allein der 2017 aus Fraktion und Partei ausgetretene und daraufhin fraktionslose Heinrich Fiechtner wurde 34 Mal zurechtgewiesen. Achtmal wurden Abgeordnete des Saals verwiesen, davon war Fiechtner fünfmal betroffen.

Unter anderem verglich der Stuttgarter Arzt Parlamentspräsidentin Aras mit NS-Propaganda-Minister Joseph Goebbels und der Vorsitzenden einer Reichsschrifttumskammer, die im Nationalsozialismus die Linientreue der Kultur sichern sollte. Überdies bezeichnete er Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) in Anspielung an ein Terrorregime in Kambodscha als »Pol Pot der grünen Khmer«. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier rückte er in die Nähe eines »bösartigen antisemitischen Staatschefs, der die Verbreitung des Islam befürworte«.

Einige Ordnungsrufe der 16. Wahlperiode (2016-2021) waren die Folgen eines Auftritts mehrerer AfD- und Ex-AfD-Politiker mit einem Banner auf der Zuschauertribüne, auf dem zu lesen war: »Maskenpflicht für Schulkinder - ein politisches Verbrechen.« Die provokative Nutzung des Parlaments durch die AfD fällt besonders auf, da in der 15. Wahlperiode keiner und in der 14. Wahlperiode ein einziger Ordnungsruf erteilt wurde. Die Partei sitzt erst seit der 16. Wahlperiode im Stuttgarter Landtag.

Nach Ansicht des Stuttgarter Kommunikationswissenschaftlers Frank Brettschneider ist das Parlament für die AfD eine Art Bühne, um sich demonstrativ und provokativ von den etablierten Parteien abzugrenzen. Sie geriere sich dort als Vertreter eines vermeintlichen Volkswillens und offenbare ein Lagerdenken nach dem Motto »Die AfD gegen alle anderen.« »Das Verhalten im Landtag ist in erster Linie eine Botschaft an die Anhängerschaft weniger eine Anwerbung neuer Interessenten.« Es solle der Eindruck entstehen, dass man im Parlament furchtlos und mutig den anderen Parteien Paroli biete.

Außerdem versuche die AfD, sich als Opfer der etablierten politischen Akteure darzustellen und dadurch Medien-Berichterstattung auszulösen, erläuterte der Professor von der Universität Hohenheim. Auch wenn die AfD die öffentlich-rechtlichen Medien der Voreingenommenheit bezichtige, folge sie dem Credo »Hauptsache man kommt vor«. Die stärkere Medienpräsenz führe auch dazu, dass die Zwischenrufe an Zahl und Provokation im Vergleich zur Zeit des Einzugs der AfD ins Parlament abgenommen hätten. »Sie sind jetzt bereits in aller Munde«, sagte Brettschneider.

Wer einen Ordnungsruf erhalten hat, kann bis zum Beginn der nächsten Sitzung bei der Präsidentin oder dem Präsidenten schriftlich Einspruch einlegen. Über den Einspruch entscheidet der Landtag in dieser Sitzung ohne Beratung. Finanzielle Sanktionen wie im Bundestag gibt es im Südwesten nicht. Dort müssen Störenfriede zunächst 1000 Euro und im Wiederholungsfall 2000 Euro blechen.

© dpa-infocom, dpa:240508-99-955639/3