Logo
Aktuell Land

Verfassungschutz: Russische Spionage, Extremismus, Gewalt

Auch Baden-Württemberg steht seit Beginn des Ukraine-Krieges im Fokus russischer Spione und Hacker, zeigt der Bericht des Verfassungsschutzes. Auch die Zahl der Rechtsextremisten im Südwesten ist deutlich gestiegen - vor allem wegen der Beobachtung der AfD.

Vorstellung Verfassungsschutzbericht 2022
Beate Bube (l), die Präsidentin des Landesamtes für Verfassungsschutz und Thomas Strobl (r, CDU), Innenminister von Baden-Württemberg, stehen im Landtag. Foto: Bernd Weißbrod/DPA
Beate Bube (l), die Präsidentin des Landesamtes für Verfassungsschutz und Thomas Strobl (r, CDU), Innenminister von Baden-Württemberg, stehen im Landtag.
Foto: Bernd Weißbrod/DPA

Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine beschäftigen die Aktivitäten der russischen Geheimdienste auch in Baden-Württemberg verstärkt den Verfassungsschutz. Aber auch sogenannte Reichsbürger, Rechtsextremisten und linke Gewalt beobachtet der Geheimdienst genau. Bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichts für das vergangene Jahr, erstmals in einer öffentlichen Sitzung des Parlamentarischen Kontrollgremiums, sprach Innenminister Thomas Strobl (CDU) von einem »ereignisreichen Jahr mit multiplen Krisen«. Ein Überblick:

Spionage und Cyberangriffe

Seit dem Beginn des russischen Angriffskriegs in der Ukraine registriert der Verfassungsschutz in Baden-Württemberg eine erhöhte Aktivität russischer Geheimdienste. »Cyberangriffe, Spionage, Propaganda und Desinformation sind Werkzeuge dieses Krieges, der an Landesgrenzen nicht Halt macht. Auch wir in Baden-Württemberg sind betroffen«, sagte Strobl.

Besonders im Fokus der russischen Spione stünden Behörden, die Rüstungsindustrie, Universitäten und Forschungseinrichtungen. »Das Interesse Russlands an Informationen, die den eigenen Interessen nützen oder dem Gegner schaden, ist so hoch wie nie seit dem Ende des Kalten Kriegs«, sagte Verfassungsschutzpräsidentin Beate Bube.

Als hoch schätzen die Verfassungsschützer auch die Gefahr durch Hackerangriffe ein, gesteuert durch die Nachrichtendienste. Bube sprach von einem »erhöhtem Fallaufkommen«, genaue Zahlen seien geheim. Urheber der Angriffe sei Russland, aber auch Staaten wie China, Iran oder Nordkorea führten Angriffe durch. In Baden-Württemberg seien die IT-Strukturen verschiedener Stellen im vergangenen Jahr wiederholt Ziel von Cyber-Attacken gewesen, sagte Strobl.

Desinformation

Spürbar zugenommen habe im vergangenen Jahr die Verbreitung russischer Desinformation über den Krieg in der Ukraine, sagte Bube. Man registriere vermehrt prorussische Propaganda, die gezielt in die russische Community im Land gespielt werde. Wichtige Kanäle seien dafür zunehmend soziale Medien, zum Beispiel Telegram. »Inwieweit das auf fruchtbaren Boden fällt, ist nicht zu messen. Es wird aber auch in Baden-Württemberg auf fruchtbaren Boden fallen«, sagte Bube.

Rechtsextremismus

Die Zahl der Rechtsextremisten in Baden-Württemberg ist im vergangenen Jahr deutlich angestiegen. Der Verfassungsschutz verzeichnete 2460 Mitglieder der Szene. Im Vorjahr hatte der Wert bei 1970 gelegen. Das entspricht einem Anstieg um rund 25 Prozent.

Als Grund für den Anstieg nannte der Geheimdienst die Beobachtung der Landes-AfD. Dadurch sei das rechtsextreme Potenzial innerhalb der Partei in den Bericht aufgenommen worden. Die AfD, die auch mit einer Fraktion im baden-württembergischen Landtag vertreten ist, wird seit dem vergangenen Jahr vom Verfassungsschutz als Verdachtsfall eingestuft und beobachtet.

Die Zahl der rechtsextremistischen Straftaten ging leicht zurück. Die Verfassungsschützer verzeichneten im vergangenen Jahr 1410 Straftaten mit rechtsextremem Hintergrund. Im Jahr 2021 waren es 1482 gewesen. Leicht zugenommen hat dagegen die rechtsextreme Gewalt. 2022 registrierte der Verfassungsschutz 34 Gewalttaten durch Rechtsextreme, im Vorjahr waren es 28.

Linksextremismus

Deutlich gesunken sind im vergangenen Jahr die Angriffe von Linksextremisten. Die Zahl der linksextremen Straftaten sank 2022 auf 352, im Vorjahr hatten die Verfassungsschützer noch 659 linksextreme Straftaten registriert. Auch die Zahl der Gewalttaten ging deutlich zurück: von 62 auf 39. Das ist der tiefste Wert seit fünf Jahren.

Als Grund für den deutlichen Rückgang sieht die Behörde fehlende politische Großereignisse wie Bundestags- oder Landtagswahlen. Insgesamt gehen die Verfassungsschützer von 2690 Linksextremisten in Baden-Württemberg aus, davon seien 870 gewaltbereit. »Der Trend zur Gewaltbereitschaft bricht auch in der linksextremen Szene nicht ab«, sagte Strobl.

»Reichsbürger«

Nach mehreren Angriffen auf Polizeibeamte durch sogenannte Reichsbürger geht der Verfassungsschutz weiter von einer hohen Gefahr durch die Szene aus. Innenminister Strobl sprach von einer "anhaltend hohen Bedrohungslage durch die Szene". Aus dem Bericht des Geheimdienstes geht hervor, dass in Baden-Württemberg rund 3800 Menschen dem Milieu der sogenannten Reichsbürger und Selbstverwalter angehören. Im Vergleich zum Vorjahr blieb der Wert stabil. Jeden zehnten »Reichsbürger« hält der Verfassungsschutz für gewaltbereit.

Im Februar vergangenen Jahres hatte ein »Reichsbürger« bei einer Verkehrskontrolle in Lörrach einen Polizisten angefahren und schwer verletzt. Gut zwei Monate später wurden Polizisten bei einer Durchsuchung in Boxberg (Main-Tauber-Kreis) beschossen - mutmaßlich von einem »Reichsbürger«. Ein Beamter wurde verletzt.

Islamismus

Die Gefahr von Anschlägen durch islamistische Terroristen ist laut Verfassungsschutz weiter hoch. »Wir müssen von einer anhaltend hohen Gefahr durch islamistische Extremisten ausgehen«, sagte Verfassungsschutzpräsidentin Bube. Die Zahl der Islamisten ist allerdings in Baden-Württemberg leicht gesunken. Dem Verfassungsschutzbericht zufolge lebten 2022 im Südwesten 4070 Islamisten. Im Vorjahr waren es 4230.

© dpa-infocom, dpa:230621-99-138248/5