Stuttgart (dpa/lsw) - Die Interessenvertretung der Gymnasiallehrer hat harsche Kritik an den Gemeinschaftsschulen in Baden-Württemberg geäußert. Die Gemeinschaftsschulen seien finanziell ein Fass ohne Boden und brächten keine besseren Lernleistungen der Schüler. Ausschließlich die Anhänger von »Eine Schule für alle Kinder« sehen in ihr einen Fortschritt, teilte der Philologenverband am Mittwoch in Stuttgart mit. Die grün-rote Vorgängerregierung hatte die Gemeinschaftsschule 2012 im Südwesten neu eingeführt. Mittlerweile bieten einige von ihnen auch eine gymnasiale Oberstufe an.
Der Landeschef des Philologenverbandes, Ralf Scholl, plädierte dafür, die Lernerfolge der Gemeinschaftsschüler wissenschaftlich zu untersuchen. Er forderte Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) auf, den klassischen Gymnasien und Realschulen mehr Geld zu geben und ihnen kleinere Klassen zu ermöglichen. »Dann zeigen wir Ihnen, wie viel mehr man mit diesem Geld an klassischen Gymnasien und Realschulen erreicht.« Scholl sprach von einer großen Unzufriedenheit von Gymnasiallehrern an Gemeinschaftsschulen. Einige hätten deshalb ihr Beamtenverhältnis gekündigt. Zuerst berichteten darüber »Stuttgarter Zeitung« und »Stuttgarter Nachrichten« (Mittwoch).
Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) warnte davor, Schularten gegeneinander auszuspielen: »Alle Schularten in Baden-Württemberg haben ihren Platz in der Bildungslandschaft und werden gefördert und unterstützt.« Dies gelte auch für die inzwischen mehr als 300 Gemeinschaftsschulen, die von vielen Eltern gut nachgefragt würden. Eisenmann bot dem Philologenverband ein Gespräch an, um über die Erfahrungen von Gymnasiallehrern an Gemeinschaftsschulen zu reden.
In Gemeinschaftsschulen wird auf drei Niveaustufen unterrichtet, die zum Hauptschulabschluss, zum Realschulabschluss oder zum Abitur führen können. Dabei gibt es Unterricht in traditioneller Form, eigenständiges Lernen und Lernen in Gruppen. Die Schüler bekommen erst einmal keine Zeugnisse, sondern Lernentwicklungsberichte, um zu sehe, wo sie stehen. Der Philologenverband kritisierte unter anderem, dass viele Eltern diese Beurteilungen nicht richtig verstehen, da sie »oft sehr wohlwollend und ermutigend« formuliert seien.
Die SPD hatte das Kultusministerium inne, als die Gemeinschaftsschule eingeführt wurde. Deren Bildungspolitiker im Landtag, Stefan Fulst-Blei, hielt dem Philologenverband vor, ein durchsichtiges Manöver zu fahren: Gerade jetzt entschieden sich Eltern, auf welche weiterführende Schulart sie ihr Kind geben wollten. Aus Gesprächen mit Gymnasiallehrern an Gemeinschaftsschulen wisse er, dass sich diese dort sehr wohl fühlten. Auch Grünen-Bildungsexpertin Sandra Boser meinte: »Die Abschlussergebnisse an den Gemeinschaftsschulen belegen den Erfolg der Schulart gerade im Umgang mit unterschiedlich leistungsstarken Schülern.« Die Ergebnisse zeigten: Längeres gemeinsames Lernen führe zu mehr Bildungsgerechtigkeit.
Die Landeschefin der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, Doro Moritz, erinnerte daran, dass die Klassen nach ihrer Einschätzung in fast allen Schularten zu groß seien. Ebenso fehlten Fortbildungsangebote und Vertretungslehrer, die für kranke Kollegen einspringen. Die stellvertretende Vorsitzende des Vereins für Gemeinschaftsschulen in Baden-Württemberg, Ulrike Felger, sagte, die Kritik des Philologenverbandes entbehre jeder Grundlage. Offenkundig sähen die Gymnasiallehrer ihre Pfründe bedroht. Hingegen forderte FDP-Bildungsexperte Timm Kern Ministerin Eisenmann auf, die Kritik des Philologenverbandes eingehend zu prüfen.