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Urteil im Milliarden-Prozess: Bahn muss S 21-Kosten tragen

Dass Stuttgart 21 teurer wird als ursprünglich geplant, ist lange bekannt. Unklar war aber bislang, wer die Mehrkosten bezahlen muss. Nun ist klar: Auf die Bahn kommen wohl Milliarden zu.

Gerichtssaal
Das Strafgesetzbuch und Akten liegen in einem Gericht auf dem Tisch. Foto: Swen Pförtner/DPA
Das Strafgesetzbuch und Akten liegen in einem Gericht auf dem Tisch.
Foto: Swen Pförtner/DPA

Bevor das Urteil verkündet wird, wer denn nun die milliardenschweren Mehrkosten für das Bahnprojekt Stuttgart 21 bezahlen muss, ist die Stimmung im Saal 5 des Stuttgarter Verwaltungsgerichts noch gelöst. Der Vorsitzende Richter Wolfgang Kern kämpft zunächst mit dem Handmikrofon und erntet mit seiner Beschwerde über die schlechte Technik den einen oder anderen Lacher.

Dann, um 13.38 Uhr, schlägt die Stimmung von jetzt auf gleich um - vor allem bei den Vertretern der Deutschen Bahn verhärten sich die Gesichtszüge. Denn das Urteil, das Richter Kern am Dienstag in Stuttgart verkündet, kann geradezu als eine Klatsche für den Konzern bezeichnet werden: Alle Klagen gegen die Projektpartner von Stuttgart 21 werden abgewiesen, sagt Kern. Sie seien entweder nicht zulässig oder unbegründet, erklärt er.

Im Umkehrschluss bedeutet das: Die Bahn muss nach Ansicht des Gerichts die Mehrkosten des Projektes Stuttgart 21 alleine tragen. Für eine Beteiligung des Landes Baden-Württemberg, der Stadt Stuttgart, des Verbands Region Stuttgart und des Flughafens Stuttgart bestehe kein Anspruch. Dafür gebe es weder eine vertragliche noch eine gesetzliche Grundlage, heißt es später in einer Mitteilung des Gerichts. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Mindestens 6,5 Milliarden Euro Mehrkosten

Mit der Niederlage vor dem Stuttgarter Gericht dürften auf die Bahn Milliardensummen zukommen. Der Konzern, der offiziell Bauherr von Stuttgart 21 ist, beziffert die Gesamtkosten für das Projekt derzeit auf rund 11 Milliarden Euro und hat zusätzlich einen Puffer von 500 Millionen Euro einkalkuliert. In einem Finanzierungsvertrag aus dem Jahr 2009 ist jedoch nur die Verteilung von Kosten bis zu einer Höhe von gut 4,5 Milliarden Euro geregelt. Die Mehrkosten von derzeit mindestens 6,5 Milliarden Euro dürften nach dem Urteil nun bei der Bahn hängen bleiben.

Zentral für das Verfahren war die Auslegung einer sogenannten Sprechklausel im 2009 geschlossenen Finanzierungsvertrag für das Projekt. Diese war für den Umgang mit möglichen Kostensteigerungen vereinbart worden. Darin heißt es: »Im Falle weiterer Kostensteigerungen nehmen die EIU (Eisenbahninfrastrukturunternehmen) und das Land Gespräche auf.«

Was mit der Klausel genau gemeint ist, war zwischen den S21-Partnern aber höchst umstritten. Die Deutsche Bahn betonte immer wieder, dass sie von einer »gemeinsamen Finanzierungsverantwortung« ausgehe. Die restlichen Partner sahen das anders und pochten darauf, dass Festbeträge vereinbart worden seien. Die Klausel verpflichtet ihrer Ansicht nach lediglich zu Gesprächen.

Zu dieser Ansicht kommt auch das Gericht. Die Projektpartner hätten im Falle von Mehrkosten ausdrücklich die Aufnahme von Gesprächen verabredet, sagt der Vorsitzende Richter. Daraus könne keine Verhandlungspflicht oder gar ein Anspruch auf Vertragsanpassung abgeleitet werden. Mit der Klausel hätten die Vertragspartner nach Ansicht des Gerichts keine verbindliche Regelung für die Vereinbarung weiterer Finanzierungsbeiträge treffen wollen, so Kern.

Bahn will rechtliche Schritte gegen das Urteil prüfen

Man bedauere das Urteil, sagt ein Sprecher der Deutschen Bahn nach der Verkündung vor den Fernsehkameras. Man sehe nach wie vor eine gemeinsame Finanzierungsverantwortung für Stuttgart 21. Die Bahn will nun prüfen, ob sie gegen das Urteil vorgeht. »Wir werden die schriftliche Begründung ganz genau prüfen und dann entscheiden, ob wir Rechtsmittel einlegen«, so der Sprecher.

Eine direkte Berufung zum Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (VGH) in Mannheim ließ das Verwaltungsgericht nicht zu. Die Bahn könne aber innerhalb eines Monats nach Zustellung des schriftlichen Urteils einen Antrag auf Zulassung der Berufung zum VGH stellen, so ein Gerichtssprecher. Über diesen Antrag würde dann der VGH entscheiden.

Über mögliche finanzielle Auswirkungen des Urteils will der Bahnsprecher am Dienstag nicht sprechen. Der Anwalt des Konzerns hatte aber bereits beim letzten Verhandlungstermin betont, die Bahn sei finanziell »nicht auf Rosen gebettet«.

Das Projekt drohe »endgültig zum Fiasko für die Schiene in Deutschland zu werden«, urteilte der Grünen-Bundestagsabgeordnete und Bahnexperte Matthias Gastel am Dienstag. Deutschland brauche eine sanierte und ausgebaute Schiene. »Deshalb dürfen keine dringend notwendigen Sanierungs-, Aus- und Neubauvorhaben aufgrund der finanziellen Mehrbelastungen zurückgestellt werden«, forderte der Politiker.

Genugtuung bei den Projektpartnern

Bei den Projektpartnern herrscht dagegen Freude und Genugtuung. »Heute wurde gerichtlich bestätigt, was wir seit Jahren sagen: Die Bahn ist als Projektträgerin für die Mehrkosten des Projekts Stuttgart 21 alleine verantwortlich«, lässt Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) per Pressemitteilung verkünden. Man sehe sich durch das Urteil bestätigt, sagt auch Alexander Lahl, Regionaldirektor des Verbands Region Stuttgart.

Auf das Land wären im Falle einer Niederlage vor Gericht Mehrkosten in Höhe von rund 2,8 Milliarden Euro zugekommen. Die Stadt hatte im Vorfeld gewarnt, bei einer Beteiligung müssten Investitionen auf längere Zeit eingestellt werden. (dpa)