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»Unschuld vom Lande« zettelt Revolte an

CDU-Politikerin Julia Klöckner mischt das Stockacher Narrengericht auf und wird dennoch milde abgeurteilt

Julia Klöckner wirbelt die Gerichtssitzung durcheinander und tanzt mit ihrem Ankläger. FOTO: MEYER
Julia Klöckner wirbelt die Gerichtssitzung durcheinander und tanzt mit ihrem Ankläger. FOTO: MEYER
Julia Klöckner wirbelt die Gerichtssitzung durcheinander und tanzt mit ihrem Ankläger. FOTO: MEYER

STOCKACH. »Freispruch! Freispruch!« skandierte das Publikum in der Halle. Noch nie in der rund 675 Jahre langen Geschichte des Hohen Grobgünstigen Narrengerichts zu Stockach gab es solche Szenen wie an diesem »Schmotzigen Dunschtig«. Vor der richterlichen Beratung über das Urteil gegen die rheinland-pfälzische CDU-Politikerin Julia Klöckner hatte sich der vollbesetzte Saal demonstrativ mit der Angeklagten solidarisch gezeigt.

Tatsächlich waren die drei Anklagepunkte des närrischen Gerichts gegen die wirtschaftspolitische Sprecherin der CDU und zugleich Bundesschatzmeisterin hanebüchen. Kläger Michael Nadig warf »dem blonden Gift in High Heels und Kostüm« eine »feministische Machtgeilheit, scheinheilige Hochstapelei, sowie Traumtänzerei und politische Paradontitis« vor. Als ehemalige Bundesministerin müsse sie sich dafür verantworten, »die Landwirtschaft in ein Eldorado für Giftmischer verwandelt« zu haben. Sie habe den Bienenkiller Glyphosat nicht verboten und den falschen Versprechungen der Süßigkeiten-Industrie nachgeben. Klöckner sei »eine Zuckerpuppe aus der Lobbygruppe«, wetterte er gegen »die kampfeslustige Politk-Amazone«. Sie habe »viel rhetorischen Schaumwein« produziert, wobei es doch genau jetzt »Rückgrat statt Riesling und Domina statt Dornfelder« brauche.

Die Beklagte Julia Klöckner wird gefesselt vor das Gericht geführt.  FOTO: MEYER
Die Beklagte Julia Klöckner wird gefesselt vor das Gericht geführt. FOTO: MEYER
Die Beklagte Julia Klöckner wird gefesselt vor das Gericht geführt. FOTO: MEYER

Ohne die Frauenquote in der Merkel-CDU hätte sie nie Karriere machen können. Sie sei »der weibliche Machiavelli aus der Pfalz, die Supernova am finsteren Himmel der Berliner Politik«. Dort habe sie »Blut geleckt – die Femme fatale aus dem Weingut Guldental«. Ein Umstand, dass das traditionell ausschließlich aus Männern bestehende Kollegium nicht gutheißen konnte.

Das Stockacher Narrengericht ist eine feste Größe der schwäbisch-alemannischen Fastnacht. Die Tradition geht auf ein Privileg des habsburgische Herzog Albrecht von 1551 zurück. Seit 1960 klagt die närrisch-juristische Institution jedes Jahr Polit-Promis an. Die Strafe wird grundsätzlich in Wein bemessen – nach altem österreichischen Eimer-Maas (60 Liter).

Julia Klöckner bringt den Narrenrichtern die Fötentöne bei. FOTO:  MEYER
Julia Klöckner bringt den Narrenrichtern die Fötentöne bei. FOTO: MEYER
Julia Klöckner bringt den Narrenrichtern die Fötentöne bei. FOTO: MEYER

Man habe angesichts der Vorgänge in Berlin – Ampel-Aus und Neuwahlen – eigentlich alle beteiligten Politiker in einem Musterprozess verklagen wollen, so der badische Narrenrichter Jürgen Koterzyna. »Mit dem fälligen Strafwein hätte man den Bodensee füllen können. Aber weil die Württemberger an das Trinkwassernetz angeschlossen sind, haben wir das wieder verworfen«.

Klöckner sei froh, dass sie rechtzeitig kommen konnte: »Stromausfall in Berlin, ich hing eine Stunde im Aufzug fest. Während Wolfgang Kubicki eine Stunde lang auf der Rolltreppe stand«. Sie habe die Einladung angenommen, weil sie »gerne ins Urzeit-Museum« gehe, stichelte die 52jährige angesichts »der weißen alten Männer« im Gericht. »Wie man sehen kann, waren die meisten schon 1351 mit dabei«. In einer von Beifallsstürmen begleiteten Verteidigungsrede sagte die vormalige Deutsche Weinkönigin von 1995, sie sei nur deshalb angeklagt worden, weil sie einen eigenen Weinberg besitze. »Der Keller füllt sich bei uns durch ehrliche Arbeit und nicht durch Strafzölle wie ihr das hier macht«.

Julia Klöckner bingt dem Gericht Flötentöne bei. FOTO: MEYER
Julia Klöckner bingt dem Gericht Flötentöne bei. FOTO: MEYER
Julia Klöckner bingt dem Gericht Flötentöne bei. FOTO: MEYER

Die Trägerin des Pfälzer Saumagenordens widerlegte alle Anschuldigungen. Das Tierwohl war ihr sehr wichtig, weshalb sie den »Seehas« (Verkehrslinie) unter Artenschutz stellen lies, »damit ihr nicht weiter hinterm Mond leben müsst.« Pfanzenschutz sei wichtig: »Lieber Obst vom Bodensee als aus Übersee«. Mit »bio« könnte das Richterkollegium doch gar nichts anfangen: »Ihr braucht soviel Konservierungsstoffe wie ihr kriegen könnt.«

Dass sie »von Tuten und Blasen keine Ahnung habe«, widerlegte sie mit einem Solo auf der Querflöte, tanzte den Schneewalzer mit dem verblüfften Ankläger und brachte den Saal zum Schunkeln und Toben.»Bei uns ist die Weiberfassenacht eine Demonstration weiblicher Macht. Wir schneiden die Krawatten als Symbol der männlichen Dominanz ab«, im Gericht sehe sie »einen eklatanten Reformstau: null Frauen, aber bei den Promille ganz vorne dabei«, Hier regiere »Rausch statt Recht«. Friedrich Merz (Beklagter 2004) habe ihr auf den Weg gegeben: »Trink vorher was. Geh bei denen nicht nüchtern auf die Bühne. Augenhöhe ist wichtig.«

Die Beklagte Julia Klöckner schenkt dem Narrenbüttel reinen Wein ein. FOTO: MEYER
Die Beklagte Julia Klöckner schenkt dem Narrenbüttel reinen Wein ein. FOTO: MEYER
Die Beklagte Julia Klöckner schenkt dem Narrenbüttel reinen Wein ein. FOTO: MEYER

Sie sei »die Unschuld vom Nachbarlande, gewählt vom Volk«. Im Gegensatz zum sich »seit dem Mittelalter selbst ernennenden Gremium«. Sie rief die Frauen im Saal »zur Revolte von unten gegen das Partriarchat, die Rückständigkeit und Staub aus 675 Jahren « auf: »Steht auf, wenn ihr Närrinnen seid. Erhebt Euch gegen das Methusalem-Komplott!«.

Fürsprech Christoph Stetter sagte, »die Zeit der reinen Männerherrschaft ist vorbei«. Wer nicht mit der Zeit geht, wird mit der Zeit gehen. Man werde in Berufung gehen. Er wurde aber belehrt, dass Stockach bereits das Supreme Court in närrischen Strafverfahren sei: »Über uns kommt nur noch der Himmel«.

Schunkeln mit Ankläger, Verteidiger und Nattenbüttel: Die BeklagteJulia Klöckner nach den Gerichtsurteil. FOTO: MEYER
Schunkeln mit Ankläger, Verteidiger und Nattenbüttel: Die BeklagteJulia Klöckner nach den Gerichtsurteil. FOTO: MEYER
Schunkeln mit Ankläger, Verteidiger und Nattenbüttel: Die BeklagteJulia Klöckner nach den Gerichtsurteil. FOTO: MEYER

Letztlich wurde die Winzertochter aus Bad Kreuznach mit einem milden Urteil abgestraft - mehr günstig als grob: Sie muss 60 Liter Prädikatswein zahlen, den das Gericht im Weingut persönlich abholen will. Außerdem wurde sie zu Sozialleistungen im Ausschank auf dem Stockacher Stadtfest verdonnert. Statt wie üblich, zur Laufnärrin ernannt zu werden, erhob man sie in den Stand einer närrischen Weinkönigin. Deshalb musste der baden-württembergische Landwirtschaftsminister Peter Hauk in die Bresche springen und wurde an ihrer Stelle zum Laufnarren geschlagen. (GEA)

Peter Hauk wird zum Laufnarren geschlagen. FOTO: MEYER
Peter Hauk wird zum Laufnarren geschlagen. FOTO: MEYER
Peter Hauk wird zum Laufnarren geschlagen. FOTO: MEYER
Ehemalige Weinkönigin Julia Klöckner. FOTO: MEYER
Ehemalige Weinkönigin Julia Klöckner. FOTO: MEYER
Ehemalige Weinkönigin Julia Klöckner. FOTO: MEYER