Mit einem Bündel von 254 Maßnahmen soll Baden-Württemberg seine Klimaziele erreichen, allerdings lassen Umweltverbände kaum ein gutes Haar am sogenannten Klima-Maßnahmen-Register. Das offiziell noch unter Verschluss gehaltene Register mit den konkreten Vorgaben für die Ministerien werde in keiner Weise der Herausforderung gerecht, vor der Baden-Württemberg im Klimaschutz stehe, kritisierte der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) am Montag. »Es ist erstaunlich, dass die Landesregierung ein so dürftiges und fantasieloses Papier vorlegt«, erklärt die BUND-Landesvorsitzende Sylvia Pilarsky-Grosch.
In dem Register, das am Dienstag vom Kabinett beschlossen werden soll, will die Landesregierung zentrale Maßnahmen, die sie selbst ergreift, sammeln und laufend aktualisieren. Wie in einer Art öffentlich einsehbarem Werkzeugkasten soll vor allem festgehalten werden, mit welchen Anschaffungen, Umbauten oder Reformen Kohlendioxid (CO2) eingespart werden soll. Das Land hat sich zum Ziel gesetzt, seinen Treibhausgasausstoß bis 2030 um 65 Prozent im Vergleich zu 1990 zu reduzieren und bis 2040 klimaneutral zu werden - fünf Jahre früher, als es der Bund für Deutschland beschlossen hat.
Die Maßnahmen haben die jeweiligen Ministerien entwickelt. Der Fortschritt der Maßnahmen soll jedes Jahr durch den vom Land eingesetzten Klimasachverständigenrat überprüft werden. Sanktionsmöglichkeiten sind aber nicht vorgesehen. Neben der bereits bekannten Solarpflicht auf Neubauten und dem schon beschlossenen Investment in grüne Finanzanlagen gehört auch das Jugendticket zu den Maßnahmen, ebenso der Ausbau der Videotechnik bei Gerichtsprozessen und die Aufstellung eines Landesentwicklungsplans. Andere Vorhaben sind konkreter, darunter der Bau von 20 Radschnellwegen bis 2030, Vorhaben zur Kompostierung oder auch zum Biomüll und Recycling.
»Wir können keine innovativen Maßnahmen erkennen«, bemängelte Pilarsky-Grosch. »Die Landesregierung ist anscheinend nicht willens, konkrete, in ihren Minderungszielen benannte, mit Geld und Zeit hinterlegte und priorisierte Vorhaben zu nennen.« Sie habe es weder geschafft, wirksame Kernmaßnahmen zu identifizieren und festzuschreiben, noch sei der Katalog in die Maßnahmen auf Bundes- oder EU-Ebene eingebettet. »Einzelne Maßnahmen, wie die Anschaffung schaltbarer Steckerleisten, wirken eher hilflos, als dass sie den Herausforderungen im Klimaschutz gerecht werden«, sagte Pilarsky-Grosch. Die wichtigen Bereiche Mobilität und Wärme würden zudem »stiefmütterlich behandelt«.
Auch der Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe, Jürgen Resch, winkt bereits vor Veröffentlichung des Registers ab: »Das ist das Papier nicht wert, auf dem es geschrieben ist«, sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Es reiche nicht, 250 Aufgaben als Fleißarbeit untereinanderzuschreiben, solange diese unverbindlich und bereits geplant, teils sogar schon umgesetzt seien. »Die Landesregierung hat mit diesem Register die Chance verpasst, sich im Kampf für den Klimaschutz an die Spitze der Länder zu setzen.«
Die Grünen forderten hingegen dazu auf, dem Register eine Chance zu geben: »Wir sollten hier nicht vorschnell urteilen, sondern das Register erst einmal seine Wirkung entfalten lassen«, sagte Jutta Niemann, die Sprecherin für Energie- und Klimapolitik der Grünen-Fraktion. Das Klimamaßnahmenregister sei ein lebendiges und lernendes Instrument. »Es wird fortlaufend überprüft und mit Maßnahmen kontinuierlich weiterentwickelt. Und es lebt von seiner Transparenz«, sagte Niemann.
Für die FDP ist das Register dennoch »wohl ein Rohrkrepierer«, mit dem keine relevanten Maßnahmen vorgeschlagen würden. Wichtige Maßnahmen wie CO2-Speicherung, Geothermie, Aufbau von Wasserstoffinfrastrukturen und Speichern fehlten, sagte der FDP-Klimaexperte Daniel Karrais. Die SPD schlägt in dieselbe Kerbe: Für SPD-Fraktionschef Andreas Stoch ist das Register »ein wirkungsloser Papiertiger«. »Konkrete und gar neue Maßnahmen muss man mit der Lupe suchen«, sagte er. Es würden fast nie Zielmarken zu einem Zielzeitpunkt genannt oder konkrete Summen, die investiert werden sollen.
Der Naturschutzbund Deutschland lobt zwar die Initiative, bemängelt aber die fehlenden Sanktionsmöglichkeiten. Der Landesvorsitzende Johannes Enssle erwartet zudem sehr bald weitere Anpassungen, weil mit dem derzeitigen Katalog die ambitionierten Ziele nicht erreicht werden könnten. »Viele Maßnahmen sind recht unkonkrete «Eh-da-Maßnahmen» der jeweiligen Ministerien«, sagte Enssle. »Offenbar wird der Klimaschutz noch nicht in allen Ministerien wirklich ernst genommen.« Als Folge müsse das Register schon am Tag seiner Verabschiedung fortgeschrieben werden.
Auf das Register hatte sich die grün-schwarze Koalition nach langem Ringen geeinigt. Mit seiner bereits beschlossenen Novelle zum Klimaschutzgesetz ist Baden-Württemberg das erste Bundesland, das konkrete Ziele für die Reduzierung von CO2 für Verkehr, Gebäude und Wirtschaft gesetzlich verankert.
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