STUTTGART/REUTLINGEN. Nach einer landesweiten Umfrage unter Grundschullehrkräften sieht die Bildungsgewerkschaft GEW den Leistungstest Kompass 4 weiterhin als gescheitert an. 80 Prozent der befragten Lehrkräfte sahen bei den Ergebnissen größere Abweichungen zur eigenen Einschätzung ihrer Schülerinnen und Schüler. Zwei Drittel der Lehrkräfte bezeichnete das neue Verfahren als überflüssig und wenig sinnvoll.
Von Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne) forderte die GEW daher dessen sofortigen Stopp. »Frau Schopper, hören Sie auf Tausende pädagogische Profis in Ihren Grundschulen, vertrauen Sie in deren Beratungskompetenz und stoppen Sie dieses übereilt eingeführte Verfahren. Wir brauchen kein neues Grundschul-Abi, das Kinder und Eltern mit fragwürdigen Inhalten unnötig unter Druck setzt«, sagte Monika Stein, Landesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), letzte Woche in Stuttgart.
Der Leistungstest Kompass 4 war in den Fächern Deutsch und Mathe im November 2024 erstmals verpflichtend an allen Grundschulen im Land durchgeführt worden. Er ist neben der Lehrerempfehlung und dem Elternwunsch ein Kriterium für die verbindlichere Grundschulempfehlung, die für die derzeitigen Viertklässler erstmals wieder greifen soll. Mit der Neuregelung, über die derzeit der Landtag berät, sollen künftig zwei der drei Kriterien den Ausschlag für die Grundschulempfehlung fürs Gymnasium geben.
Vor allem an den Mathe-Aufgaben hatte es massive Kritik gegeben. Zu schwierig, zu umfangreich, zu textlastig und zu weit weg vom Lehrplan lauteten einige der Kritikpunkte. Der Leistungstest wurde von der GEW wie auch von Elternseite als »Grundschul-Abitur« kritisiert, das die Grundschüler unnötig unter Druck setze. Der Test führe außerdem zu Demotivation und Versagensängsten bei Kindern, mahnte etwa eine Lehrkraft in der aktuellen Umfrage der GEW. Der Grundschulverband hatte nach dem Test von weinenden Kindern und verzweifelten Lehrkräften berichtet.
Eine erste Stichprobe der Testergebnisse in Mathematik ergab laut Kultusministerium, dass nur 6 Prozent der Viertklässler das Niveau für eine Gymnasialempfehlung erreicht hätten und nur rund 8 Prozent das mittlere Niveau. Ganze 86 Prozent der Schüler erreichte demnach in Mathe nur eine Empfehlung für das grundlegende Niveau. In Deutsch fiel der Test demnach besser aus.
Auf die Frage, wie mit den Ergebnissen von Kompass 4 nun umgegangen werde, gaben Ministerpräsident Winfried Kretschmann und Kultusministerin Theresa Schopper Ende letzter Woche Antwort. Beim Besuch einer Stuttgarter Grundschule bedauerten beide erneut die Verunsicherung, die bei Eltern, Lehrkräften und vor allem bei den Kindern entstanden sei. »Die gewünschte Aussagekraft und Orientierung hat der Mathematikteil von Kompass 4 dieses Jahr nicht geboten, das ist ganz klar. Gleichwohl werden wir ihn nicht zurückziehen, um nicht jenen Kindern zu schaden, die gut abgeschnitten haben und denen ihr Kompass-Ergebnis nützt«, erklärte der Ministerpräsident. Grundsätzlich seien Eltern und Lehrer aber bereits vor Weihnachten schon vom Kultusministerium angehalten worden, sich dieses Jahr in ihrer Entscheidung nicht von Kompass 4 beeinflussen zu lassen. Kretschmann: »Das heißt: Das Ergebnis wirkt sich nur dann aus, wenn es positiv für ein Kind ausfällt.«
Die Landesregierung will aber weiter an dem Test in Klasse 4 festhalten. Ob die Aufgaben im Mathe-Bereich zu schwer waren oder die Bearbeitungszeit zu knapp, was bei den Rahmenbedingungen nicht gepasst hat und warum es solche erheblichen Unterschiede zum Deutsch-Teil gab, all das wisse man noch nicht, meinte die Kultusministerin. »Aber wir werden uns die Auswertung der Ergebnisse des Instituts für Bildungsanalysen Baden-Württemberg (IBBW) ganz genau ansehen. Ich bin überzeugt, dass Kompass 4 grundsätzlich ein richtiges und wichtiges Instrument ist«, so Schopper.
Als »komplett missraten« und »unnötige Belastung für Schüler, Eltern und Lehrkräfte« hatte Thomas Poreski, Abgeordneter aus Reutlingen und bildungspolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion im Landtag, im Dezember den ersten Durchlauf von Kompass 4 bezeichnet und Konsequenzen gefordert. »Ich war nie ein Fan der verbindlichen Grundschulempfehlung«, sagt er aktuell auf GEA-Nachfrage, nimmt aber gleichzeitig seine Parteikollegin in Schutz: »Die Kultusministerin hält mit der Fortführung des Leistungstests an der Vereinbarung mit unserem Koalitionspartner CDU fest, der so etwas wie Kompass 4 haben wollte.«
Für Überraschung sorgte nun aber die Einschätzung zweier Wissenschaftler. Sebastian Schorcht, Professor für Grundschulpädagogik und Mathematik an der TU Dresden und der Karlsruher Professor Sebastian Wartha, Leiter des Instituts für Mathematik, bezeichneten den Test in der Presse als »den üblichen Standards entsprechend« und »vernünftig gemacht«. Doch auch der Bildungspolitiker Poreski berichtet, er habe die Kompass 4-Aufgaben Mathe-Professoren vorgelegt. Die Rückmeldung an ihn lautete: »Das macht man mit Neunjährigen so nicht.«
Festzuhalten bleibt: Für die Viertklässler, die in diesem Schuljahr den Leistungstest gemacht haben, soll nach dem Willen der Landesregierung bei der Grundschulempfehlung in diesem Jahr kein Nachteil entstehen. An der verbindlicheren Grundschulempfehlung und an Kompass 4 will Kultusministerin Schopper aber festhalten: Die Grundschulempfehlung sei Teil des Schulgesetzes, diese werde demnächst den Landtag passieren. (GEA)