STUTTGART. Die Gaisburger Kirche bleibt vorerst unverzichtbar für die Evangelische Kirche in Stuttgart. Das hat der Gesamtkirchengemeinderat jetzt in seiner Sitzung beschlossen. Das Thema hatte im Stadtteil Gaisburg für Empörung gesorgt. Bei einer Unterschriftenaktion in Geschäften dort hatten sich innerhalb weniger Tage mehrere Hundert Gaisburger für einen Erhalt der weithin sichtbaren Kirche als Mittelpunkt der Gemeindearbeit auch über das Jahr 2040 hinaus ausgesprochen. Und auch Stadtdekan Søren Schwesig dürfte – zumindest innerlich – erleichtert über die Entscheidung sein, hat er doch einen besonderen Bezug zu der Kirche.
Die Evangelische Kirche beschäftigt sich schon seit 2003 in einem kontinuierlichen Prozess mit ihrem Immobilienbestand. Wenn die Zahl der Gemeindemitglieder sich innerhalb von drei Jahrzehnten halbiere, die Zahl der Kirchengebäude aber gleich bleibe, könne das nicht funktionieren, sagt auch Dekan Schwesig. Gleichwohl sei das ein sehr schwieriger und emotionaler Prozess.
Protestaktion gestartet
Vor wenigen Wochen war im Stadtteil Gaisburg bekannt geworden, dass die Gaisburger Kirche als »verzichtbar« eingestuft werden sollte. Das hat auch den Geschäftsführenden Pfarrer der evangelischen Kirchengemeinde Stuttgart-Ost, zu der die Gaisburger Gemeinde gehört, irritiert. »Für uns kommt das alles sehr überraschend, sehr rasch und ohne jede inhaltliche Begründung«, sagte Albrecht Conrad kurz vor der Sitzung. »Wir verstehen es einfach nicht. Zumal mit der Gaisburger Kirche eine der prägnantesten Kirchen Stuttgarts betroffen ist.« Manfred Eisele ist Mitglied des Kirchengemeinderats Stuttgart-Ost, ist in Gaisburg aufgewachsen, wurde in der Kirche getauft und konfirmiert. »Die Gaisburger Kirche ist ein Identifikationsobjekt und die einzige verbliebene evangelische Einrichtung in Gaisburg«, sagt er und spricht von einem Affront. »Dagegen muss es Widerstand aus der Bevölkerung geben. Das hat nichts mit evangelisch zu tun, das betrifft alle, egal welchen Glaubens.« Deswegen hatte er zusammen mit Gisela Scheu eine Protestaktion gegen das Vorhaben der Kirche gestartet und in Geschäften vor Ort bis Freitag mehrere Hundert Unterschriften gesammelt.
In einer Online-Umfrage meldeten sich etliche Menschen aus Gaisburg und dem Stuttgarter Osten zu Wort. »Ich selbst war zwar noch nie in der Gaisburger Kirche, doch es gibt sicher Personen, die dort ihre Ruhe und die Bindung zu Gott suchen und finden. Insofern ist die Gaisburger Kirche NICHT verzichtbar«, schreibt Georgia K. Andere bringen die Kirche vor allem mit Konzerterlebnissen in Verbindung, etwa Frank D. mit dem Konzertstück für 20 Harfen von John Cage. Aleks T. unterrichtet in den Gemeinderäumen unter der Kirche Kinder an Schlagzeug, Keyboard und Klavier. »Die Kinder erleben die Gaisburger Kirche als einen Ort, wo Kultur und Religion Hand in Hand gehen: Gottesdienste, Krippenspiel, Sommerfest, Konzerte, Hochzeiten, Musikunterricht …« Wenn die Kirche »überflüssig« würde, »geht ein gesellschaftlich wichtiger Teil unserer Stadtteilgemeinschaft verloren«, schreibt er. Die drohende Einstufung als »verzichtbar« hatte für die Kirche schon Konsequenzen. Nachdem sie in den vergangenen Jahren außen saniert worden war, hätte in diesem Jahr der Kirchenraum, in dem sich einige Risse zeigen, in Ordnung gebracht werden sollen.
Das Vorhaben ist aktuell gestrichen. Und das Thema »Zukunft der Kirchen« wird die Gaisburger wie auch die evangelischen Kirchengemeinden in anderen Stuttgarter Stadtbezirken – auch über die Pauluskirche im Stuttgarter Westen wird beispielsweise seit Monaten diskutiert, ebenso über die Zukunft der Leonhardskirche in Stuttgart-Mitte – weiter beschäftigen. (GEA)