Die Affäre um die Weitergabe eines Anwaltsschreibens an die Presse bringt Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl immer mehr in die Bredouille. Die Opposition aus SPD und FDP forderte am Donnerstag Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) auf, den CDU-Politiker angesichts der nun eingeleiteten Ermittlungen gegen ihn zu entlassen. Ein Sprecher Kretschmanns sagte in Stuttgart: »Die Staatsanwaltschaft hat Ermittlungen aufgenommen, wir kommentieren laufende Verfahren grundsätzlich nicht.« Ansonsten gelte fort, was Kretschmann am Mittwoch mitgeteilt habe: »Ich schätze Thomas Strobl sehr und er hat weiter mein volles Vertrauen.« Vom Innenministerium war zunächst keine Stellungnahme zu erhalten.
Die Fraktionschefs von Grünen und CDU, Andreas Schwarz und Manuel Hagel, stärkten Strobl hingegen den Rücken. Der Minister genieße weiter sein »volles Vertrauen«, sagte Schwarz. Strobl habe am Mittwoch umfassend Stellung bezogen und er habe keinen Grund, an dessen Aussagen zu zweifeln, sagte der Grünen-Fraktionschef. Er sehe auch keinen Bedarf dafür, dass der Minister sein Amt während der Ermittlungen ruhen lasse.
Hagel sagte, er kenne den CDU-Landeschef seit vielen Jahren und könne sagen: »Thomas Strobl ist ein anständiger Kerl.« Zudem sei er ein sehr guter Minister, der in den vergangenen sechs Jahren viel für die Innere Sicherheit getan habe. Die Rücktrittsforderungen seien unbegründet. Strobl genieße weiter sein »volles Vertrauen«. Der CDU-Fraktionschef sagte aber auch, man müsse abwarten, was die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Stuttgart ergeben. Es stehe ihm nicht zu, die Arbeit der Staatsanwaltschaft vorwegzunehmen oder zu kommentieren.
Die Staatsanwaltschaft ermittelt seit November wegen des Verdachts der sexuellen Belästigung gegen einen führenden Polizisten. Der Mann soll eine Hauptkommissarin in einem Videochat mit seinen Vorstellungen sexueller Praktiken belästigt haben. Weil Strobl ein Schreiben des Anwalts des beschuldigten Beamten an einen Journalisten weitergegeben hat, wird nun auch gegen ihn ermittelt. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart teilte am Mittwochabend mit, das Ermittlungsverfahren richte sich gegen den Journalisten und den Minister. Der Reporter wird verdächtigt, aus amtlichen Dokumenten des laufenden Verfahrens gegen den Polizisten zitiert zu haben. Strobl wiederum soll ihn dazu angestiftet haben.
Der SPD-Innenexperte Sascha Binder warf Kretschmann vor, seine Hand über den Innenminister zu halten. »Es ist schon überraschend, dass Ministerpräsident Kretschmann seine persönliche Freundschaft zu Strobl über die Rechtsstaatlichkeit in unserem Bundesland stellt«, sagte Binder bei »SWR Aktuell«. Er forderte erneut den Rücktritt des Ministers. Und SPD-Fraktionschef Andreas Stoch sagte, das Handeln des Innenministers sei mit geltendem Recht nicht vereinbar. »Da es dem Innenminister offenbar an jeder Einsicht fehlt, bleibt nur eines: Ministerpräsident Kretschmann muss seinen Innenminister jetzt entlassen!«
Ähnlich äußerte sich auch FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke. »Allerdings wäre es für das Ansehen des Landes höchst abträglich, wenn der Verfassungsminister durch die Staatsanwaltschaft quasi aus dem Amt entfernt wird.«
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