Sie sollen wohl eine Art Befreiungsschlag sein, die fünf Maßnahmen, die Innenminister Thomas Strobl (CDU) am Dienstag der Presse vorstellte. Seit Monaten stehen das Innenministerium und auch der Minister unter massivem Druck: Wegen der Vorwürfe der sexuellen Nötigung gegen den ranghöchsten Polizisten des Landes, dem Verdacht des Machtmissbrauchs und zumindest Ungereimtheiten bei der Beförderungspraxis innerhalb der Polizei. Das alles, räumte Strobl ein, habe die Polizei und das Innenministerium in eine schwere Krise gebracht. Er spricht von einem »schweren Rückschlag«.
Nun will der Innenminister nach vielen Vorwürfen des Wegduckens wieder in die Offensive kommen: »Wir begreifen die Krise als einen produktiven Zustand«, sagte Strobl und kündigte an, dass nach der Affäre um den Inspekteur der Polizei das Amt des Inspekteurs abgeschafft werde. Die Aufgaben des bislang höchstrangigen Polizisten des Landes würden auf ein neues Führungsteam übertragen. Das Beurteilungssystem bei der Polizei soll auf eine neue Grundlage gestellt werden. Zudem soll eine neue Stabsstelle moderne Führungs- und Wertekultur für die gesamte Innenverwaltung eingerichtet werden.
»Wir wollen weg von Abhängigkeiten, die sich zu stark auf Einzelne konzentrieren, hin zu einem echten Führungsteam«, sagte Landespolizeipräsidentin Stefanie Hinz. Neben ihr an der Spitze soll sich die künftige Führungsmannschaft im Landespolizeipräsidium zusammensetzen aus dem Landespolizeidirektor für die Schutzpolizei, dem Landeskriminaldirektor für die Kriminalpolizei und einem Führungsstab »zur Sicherung des Führungs- und Qualitätsmanagements«.
Die Stelle des Polizei-Inspekteurs brauche man nicht mehr, sagte Hinz - auch weil dieser viele Aufgaben übernahm, die auch andere bearbeiten. »Der Inspekteur hat zum Beispiel eine sehr maßgebliche Rolle beim Thema Personal gehabt. Ich habe aber ein ganzes Referat, das sich mit Personal befasst«, sagte Hinz. Es habe sich gezeigt, dass viel Abstimmungsbedarf bestehe, man habe versucht, Schnittstellen zu reduzieren.
Das Landespolizeipräsidium passe seine Strukturen damit denen der Polizeipräsidien in der Fläche an, hieß es. Führung solle teamorientierter und moderner werden, die Personalverantwortung für die Führungskräfte auf mehreren Schultern verteilt, sagte Hinz. Zudem soll das seit Jahrzehnten praktizierte Beurteilungssystem nicht nur auf den Prüfstand, sondern auf eine neue Grundlage gestellt werden, teilte das Ministerium mit.
Der Inspekteur musste sich die vergangenen Wochen wegen Vorwürfen sexueller Nötigung vor dem Landgericht verantworten. Dem ranghöchsten Polizisten des Landes war vorgeworfen worden, eine 16 Jahre jüngere Kommissarin 2021 vor einer Stuttgarter Kneipe zu sexuellen Gefälligkeiten gedrängt zu haben. Er war am Freitag wegen Mangels an Beweisen freigesprochen worden. Strobl hatte nach dem Urteil - trotz des Freispruchs - eine Rückkehr ins Amt ausgeschlossen. Der Inspekteur ist seit Aufkommen der Vorwürfe vom Dienst freigestellt. Gegen ihn läuft auch ein Disziplinarverfahren, das aber ruht, bis alle Strafverfahren gegen den Mann rechtskräftig abgeschlossen sind.
Im Laufe des Prozesses kamen viele unappetitliche Details über den Inspekteur ans Licht. So schickte er Polizistinnen schon Jahre zuvor Penisbilder mit seinem Handy. In einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss, der derzeit sexuelle Belästigung und Beförderungspraktiken bei der Polizei beleuchten soll, berichteten Spitzenbeamte zuletzt zudem von Machtmissbrauch mit Blick auf das Beförderungs- und Beurteilungssystem der Polizeispitze.
Mit diesen Fragen soll sich nach Willen Strobls künftig eine Stabsstelle moderne Führungs- und Wertekultur kümmern. Leiten soll diese der ehemalige Amtschef des Finanzministeriums, Jörg Krauss, der selbst viele Jahrzehnte im Dienst der Polizei stand. »Wir müssen uns anschauen, ob Strukturen entstanden sind, die Abhängigkeiten begünstigen«, sagte Krauss zur Frage nach seinen Aufgaben. Er werde viele Gespräche mit der Polizeiführung aber auch einfachen Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten führen. Als möglicherweise anfällig für Abhängigkeiten nannte Krauss die Ausbildung, die Beurteilung oder den Laufbahnwechsel.
Zudem soll eine externe, unabhängige Vertrauensanwältin bestehende Anlaufstellen ergänzen. »Wir sind zuversichtlich, dass die Vertrauensanwältin ihre Arbeit nach der Sommerpause aufnimmt«, sagte Strobl. Sie soll Betroffene in einer solchen Situation juristisch beraten und begleiten. Außerdem soll die vor kurzem für das Innenministerium in Kraft gesetzte Dienstvereinbarung gegen sexuelle Belästigung auch für die Polizei landesweit ausgerollt werden.
Scharfe Kritik an Strobls Maßnahmen kam von der Opposition. Julia Goll, FDP-Obfrau im Untersuchungsausschuss sprach von einem Schnellschuss, der keine Probleme löse. Die Ankündigung, das Beurteilungswesen überprüfen zu wollen, helfe nicht weiter, so Goll. »Denn auch bislang hat es die Strobl-Clique ja immer geschafft, unter Pervertierung des gesetzlich vorgesehenen Beförderungswesens ihre Wunschkandidaten in Amt und Würden zu hieven.« Der Obmann der SPD-Fraktion, Sascha Binder, sagte: »Was der Innenminister verkündet, ist keine Reform, sondern nur ein PR-Gag, mit dem er seinen Kopf aus der Schlinge ziehen will.« Er forderte, die Personalverantwortung und die Beurteilungen komplett aus dem Landespolizeipräsidium abzuziehen und der Personalabteilung des Innenministeriums zu übergeben.
Unterstützung erhielt Strobl dagegen aus den Reihen der grün-schwarzen Koalition. »Wir begrüßen und unterstützen das Maßnahmen-Paket zur Stärkung einer wertegeleiteten Polizeikultur«, sagte der Grünen-Innenexperte Oliver Hildenbrand. Die Polizei werde sich so intensiv wie noch nie mit der eigenen Fehler- und Führungskultur auseinandersetzen. Auch die CDU-Obfrau im Untersuchungsausschuss, Christiane Staab, lobte die Pläne des Ministers, sie seien »ein Schritt in die richtige Richtung«. Insbesondere die Überarbeitung des Beurteilungssystems sei notwendig, sagte Staab.
Ein Versprechen löst Innenminister Thomas Strobl mit seinem Umbau der Polizeiführung schon mal ein. »Eines ist sicher: Der Inspekteur der Polizei wird nicht mehr in die Position des Inspekteurs der Polizei zurückkehren«, sagte er. Die Position gebe es ja auch gar nicht mehr, erwiderte ein Journalist. »Genau«, sagte Strobl - und wirkte erleichtert.
© dpa-infocom, dpa:230718-99-444300/7