Binnen-I und Sternchen: Das Innenministerium hat die Initiative für ein Volksbegehren gegen eine Gender-Pflicht an Schulen und Behörden gestoppt. Der Antrag sei sowohl aus formalen wie inhaltlichen Gründen unzulässig, sagte eine Sprecherin am Dienstag. Zuvor hatten »Heilbronner Stimme« und »Südkurier« berichtet. So divergierten etwa die Texte, die den Menschen zur Unterschrift vorgelegt worden seien, mit dem Gesetzentwurf, der im Ministerium eingereicht wurde, sagte die Sprecherin.
Der Antrag erwecke zudem den Eindruck, dass die Verwendung geschlechtsneutraler Sprache in den Behörden damit generell verboten werden soll. Da dieser aber lediglich vorsehe, das sogenannte amtliche Regelwerk zur deutschen Rechtschreibung anzuwenden, blieben zahlreiche Möglichkeiten der geschlechtsneutralen Sprache zulässig. Zudem unterliege das amtliche Regelwerk einem dynamischen Wandel. Sofern weitere Formen geschlechtsneutraler Sprache vom Rechtschreibrat zugelassen oder sogar vorgeschrieben würden, könne die Wirkung des Gesetzes möglicherweise sogar ins Gegenteil verkehrt werden, heißt es in der »Stimme«.
Seit Jahren wird in Deutschland diskutiert, ob - und wenn ja, wie - männliche Formen in der Sprache durch weiter gefasste Begriffe ersetzt werden können oder sollten - um zum Beispiel Frauen offensiver einzubeziehen. Das Gendersternchen wie bei Lehrer*innen ist eine Möglichkeit. Manche setzen an die Stelle auch einen Doppelpunkt oder einen Unterstrich. In der gesprochenen Sprache und im Fernsehen oder Radio äußert sich das dann als Sprechpause.
Der Rat für Rechtschreibung hat die Auffassung, dass allen Menschen mit geschlechtergerechter Sprache begegnet werden solle. In der vergangenen Sitzung im Sommer hatte das Expertengremium aber Genderzeichen nicht als Kernbestand der deutschen Rechtschreibung eingestuft.
Laut dem Medienbericht will sich der Heidelberger Initiator des Volksbegehrens, Klaus Hekking, Ende der Woche mit Vertretern des Innenministeriums treffen. Hekking hatte 14 550 Formblätter eingereicht. In dem Gesetzentwurf heißt es, dass die Landesregierung und die ihr nachgeordneten Behörden sowie alle übrigen Einrichtungen des Landes auf Vorgaben zum Gebrauch geschlechtsneutraler Änderungen und Zusätze verzichten sollten. Zudem dürften Prüfungsleistungen etwa an Universitäten und Schulen nicht deshalb schlechter bewertet oder beurteilt werden, weil nicht gegendert wurde.
Die CDU-Fraktion hatte das Volksbegehren unterstützt. »Der Inhalt des Volksbegehrens ist eins zu eins Beschlusslage der CDU-Landtagsfraktion«, hatte CDU-Fraktionschef Manuel Hagel noch im vergangenen Mai betont. Die Sprache sei kein Instrument der Bevormundung oder der Umerziehung. Das Volksbegehren bezieht sich mit seinen Forderungen auf einen gleichlautenden Beschluss der CDU-Fraktion von ihrer Klausurtagung im Herbst 2022.
Die SPD im Landtag kritisierte am Dienstag Hagel. Strobl kassiere in außergewöhnlich deutlicher Form den von Hagel persönlich unterstützten Gesetzentwurf, betonte SPD-Generalsekretär Sascha Binder. »Durch die Entscheidung des Ministers legt Hagel eine glatte Bauchlandung vor den Türen des CDU-geführten Innenministeriums hin. Für jemanden, der mehr Verantwortung für dieses Land tragen will, wahrlich keine Glanzleistung.«
Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hatte sich in der Vergangenheit wiederholt kritisch über das Gendern geäußert. Vor wenigen Tage erst hatte er die Genderdebatte als unnötige Kontroverse bezeichnet. »Jeder kann erstmal reden, wie er will - aber daraus eine große gesellschaftliche Debatte zu machen, führt in die Irre«, hatte er der Deutschen Presse-Agentur gesagt. »Es bringt nichts, es hat keinen Mehrwert und es polarisiert nur.« Die Politik müsse Probleme lösen und Strukturbrüche in der Gesellschaft vermeiden, sagte Kretschmann. »Daran arbeiten wir. Und wir sollten keine unnötigen Kontroversen hochziehen - wie zum Beispiel über das Gendern.«
Bürgerinnen und Bürger können mit einem Volksbegehren eine Volksabstimmung initiieren. Sie können damit eigene Gesetzesentwürfe in das Parlament einbringen und eine Abstimmung erzwingen. Für die Zulassung eines Volksbegehrens werden zunächst 10 000 Unterschriften von wahlberechtigten Baden-Württembergern benötigt. Der Antrag wird vom Innenministerium geprüft. Geht er durch, müssen in einem zweiten Schritt innerhalb von sechs Monaten die Unterschriften von zehn Prozent der Wahlberechtigten im Südwesten gesammelt werden - das sind etwa 780 000 Männer und Frauen.
Ist das geschafft, wird der Gesetzentwurf dem Landtag zur Abstimmung vorgelegt. Findet er keine Mehrheit, folgt eine Volksabstimmung. Entscheidend ist, wofür sich die Mehrheit in der Volksabstimmung ausspricht. Gültig ist sie nur dann, wenn mindestens ein Fünftel der Stimmberechtigten der Vorlage zustimmt (Zustimmungsquorum).
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