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Strafe wie beim Falschparken? Debatte um Schwarzfahren

Wer ohne Ticket in Bus und Bahn steigt, kann im schlimmsten Fall hinter Gittern landen. Die Mehrheit der Menschen findet das übertrieben. Auch Verkehrsminister Hermann sieht das so. Aber es gibt auch kritischere Stimmen. Selbst in derselben Regierung.

Strafgesetzbuch
Eine Ausgabe des Strafgesetzbuchs und der Strafprozessordnung stehen in einem Gerichtssaal. Foto: Sebastian Gollnow
Eine Ausgabe des Strafgesetzbuchs und der Strafprozessordnung stehen in einem Gerichtssaal.
Foto: Sebastian Gollnow

»Nicht mehr zeitgemäß«, »ein Skandal« oder »gerechtfertigt« - beim Umgang mit Schwarzfahrern gehen die Haltungen in Baden-Württemberg weit auseinander. Der Meinungsgraben verläuft durch die grün-schwarze Koalition. So hält Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) an seiner Forderung fest, das Fahren ohne Fahrschein zu entkriminalisieren. »Eine Behandlung des Schwarzfahrens als Straftat ist nicht mehr zeitgemäß«, sagte er in Stuttgart. Justizministerin Marion Gentges vom Koalitionspartner CDU ist gegen eine Reform.

Aus Sicht Hermanns sind Gefängnisstrafen nicht verhältnismäßig. »Ein Bußgeld ist ausreichend«, sagte der Minister im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur in Stuttgart. Es mache Gerichten und Staatsanwaltschaften viel Arbeit, Schwarzfahrer zu verfolgen. »Eine Entkriminalisierung wäre eine Reaktion auf die starke Belastung der Justiz«, sagte Hermann.

Damit ist er einer Meinung mit der Mehrheit der Menschen in Deutschland. Einer aktuellen Umfrage zufolge fänden es zwei Drittel richtig, wenn Schwarzfahren künftig als Ordnungswidrigkeit behandelt und mit einer Geldbuße belegt würde - genauso wie Falschparken. Das geht aus einer Umfrage von Infratest dimap im Auftrag der Plattform »Frag den Staat« hervor, die der Deutschen Presse-Agentur vorliegt.

Wer ohne Fahrschein erwischt wird, muss in der Regel eine Geldstrafe bezahlen. Schwarzfahrer, die die Strafe nicht bezahlen können, landen ersatzweise im Gefängnis. Der Bundestag berät aktuell über eine Reform des Sanktionsrechts, die unter anderem kürzere Ersatzfreiheitsstrafen vorsieht. Zur Frage, ob Schwarzfahren nur noch als Ordnungswidrigkeit behandelt werden soll, will Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) im Laufe des Jahres einen Gesetzentwurf vorlegen.

Nach Angaben des Landesjustizministeriums verbüßen derzeit 50 Gefangene in baden-württembergischen Gefängnissen eine Ersatzfreiheitsstrafe wegen des sogenannten Erschleichens von Leistungen (Stand: Dienstag). Die meisten wohl wegen Schwarzfahrens, hieß es aus dem Ministerium. Das Erschleichen von Leistungen könne jedoch auch andere Taten umfassen - zum Beispiel, wenn sich Menschen ohne Eintrittskarte in kostenpflichtige Veranstaltungen schmuggeln.

Justizministerin Marion Gentges ist gegen eine Reform, wie Hermann sie vorschwebt. Würde das Schwarzfahren zur Ordnungswidrigkeit heruntergestuft, würde die Justiz nicht entlastet, argumentierte die CDU-Politikerin. »Der staatliche Aufwand wird dadurch insgesamt nicht geringer.« Bei einer Ordnungswidrigkeit sind zunächst die Verwaltungsbehörden für die Verfolgung zuständig, genauso wie beim Falschparken. »Im Falle des Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid wird allerdings wiederum eine Befassung der Gerichte erforderlich«, sagte Gentges.

Anders sehen das die Richterinnen und Richter sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälte im Land. Der Deutsche Richterbund Baden-Württemberg begrüßte die Forderung, das Vergehen künftig nicht mehr als Straftat zu behandeln. »Die Herabstufung zu einer Ordnungswidrigkeit würde auf jeden Fall in die richtige Richtung gehen«, sagte ein Sprecher am Mittwoch in Stuttgart.

Auswirkungen hätte die Änderung demnach vor allem auf die Staatsanwaltschaften im Land. Diese sind nach der derzeitigen Regelung für die Verfolgung der Schwarzfahrer zuständig. »Das läuft überwiegend über Strafbefehle«, sagte der Sprecher. Mit einem Strafbefehl kann die Staatsanwaltschaft einen Abschluss des Verfahrens auch ohne Verhandlung vor Gericht beantragen. »Der Aufwand für die Bearbeitung einer Schwarzfahrt hält sich in Grenzen, die Masse der Fälle macht aber durchaus Aufwand«, sagte der Sprecher.

Der Städtetag befürchtet einen Mehraufwand für die Kommunen, sollte Schwarzfahren zur Ordnungswidrigkeit werden. »Die Verfolgung ist keine Aufgabe, um die sich die Städte reißen«, sagte Ordnungsdezernent Sebastian Ritter. Sollte es doch so weit kommen, müsste geprüft werden, ob der Mehraufwand der Bußgeldstellen auch durch zusätzliche Bußgeldeinnahmen ausgeglichen würde.

Der Paritätische Wohlfahrtsverband nannte die Strafbarkeit von Schwarzfahren »einen Skandal«. Es gebe in Baden-Württemberg viele von Armut betroffene Menschen, die sich ein ÖPNV-Ticket nicht leisten könnten. »Ohne Mobilität ist eine Teilhabe am gesellschaftlichen Leben kaum möglich«, sagte Uta-Micaela Dürig, Vorständin des Sozialverbands. Der Regelsatz für Mobilität müsse in der Grundsicherung deutlich erhöht werden.

Gegen eine Änderung der bisherigen Regeln sind dagegen FDP und AfD im Land. »Haftstrafen gibt es nur für notorische Schwarzfahrer, die ihre Geldstrafen nicht bezahlen«, sagte Christian Jung, verkehrspolitischer Sprecher der FDP-Fraktion im Landtag. Es gebe gewisse Spielregeln für das gemeinsame Zusammenleben, an die sich alle halten müssten. Miguel Klauß, verkehrspolitischer Sprecher der AfD, hält Geldstrafen und Ersatzfreiheitsstrafen für »gerechtfertigt«, die SPD-Fraktion plädiert hingegen für eine Abschaffung der Strafbarkeit. Angesichts der gesunkenen Kosten für den ÖPNV durch das 49-Euro-Ticket müsse die Verhältnismäßigkeit gewahrt bleiben, sagte der verkehrspolitische Sprecher, Hans-Peter Storz.

© dpa-infocom, dpa:230412-99-287494/4