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Stadt Stuttgart zahlt Pfleger Schadenersatz

Ein Brasilianer musste zwei Monate lang auf seine Arbeitserlaubnis von der Ausländerbehörde der Stadt warten

Auch der brasilianische Krankenpfleger reihte sich vergeblich in die Schlange vor der Ausländerbehörde im Schwabenzentrum ein.
Auch der brasilianische Krankenpfleger reihte sich vergeblich in die Schlange vor der Ausländerbehörde im Schwabenzentrum ein. FOTO: RETTIG/LICHTGUT
Auch der brasilianische Krankenpfleger reihte sich vergeblich in die Schlange vor der Ausländerbehörde im Schwabenzentrum ein. FOTO: RETTIG/LICHTGUT

STUTTGART. Die Stadt Stuttgart sieht sich zum ersten Mal mit einer Zivilklage zu Schadenersatz konfrontiert, weil ihre Ausländerbehörde einen für eine Beschäftigungsaufnahme nötigen Antrag auf eine Aufenthaltsgenehmigung zu lange unbearbeitet gelassen hat. An einer Zivilkammer des Stuttgarter Landgerichts schloss sie mit einem brasilianischen Krankenpfleger, der nach abgeschlossener Berufsausbildung in einer Ludwigsburger Klinik dort mehr als zwei Monate wegen behördlich bedingter Verzögerung seine neue Stelle nicht antreten konnte und auch kein Arbeitslosengeld erhielt, einen Vergleich. Er erhält 63 Prozent der geforderten 5.337 Euro, sofern die Stadt – nach dreiwöchiger Prüfung – zum Schluss kommen sollte, das von ihrem Verteidiger vorläufig ausgehandelte Angebot anzunehmen.

- Welche Bedeutung hat der Vergleich?

Dem städtischen Vertreter war es wichtig zu betonen, dass diese Entscheidung keine Rechtswirksamkeit entfalten würde, sich also die vielen Ausländer aus Drittstaaten, die in Stuttgart oft monatelang auf ihre Arbeitserlaubnis warten, dadurch Verdienstausfälle haben oder gar ihren Job verlieren, nicht auf diesen Einzelfall beziehen könnten. Für den Stuttgarter Rechtsanwalt Roland Kugler, der einst auch das Fahrverbot durchgesetzt hat und auf der Liste der Grünen für die Gemeinderatswahl steht, ist es aber ein Hinweis darauf, dass persönliche Fehlleistungen von Mitarbeitern oder ein Organisationsversagen der Stadtverwaltung, die seit Jahren die Personalnot duldet, nicht klaglos hingenommen werden müssten. Die Entscheidung könnte Betroffene animieren, den Rechtsweg zu beschreiten, wenn sie monatelang ohne Rückmeldung auf ihre Arbeitserlaubnis warten müssen und einen finanziellen Verlust erleiden.

- Um was geht es bei dem Rechtsstreit?

Anwalt Kugler ist der Ansicht, die Stadt sei gegenüber seinem Mandanten schadenersatzpflichtig, weil die zögerliche Bearbeitung des Antrags auf eine Aufenthaltserlaubnis zur Beschäftigung eine »fahrlässig begangene Amtspflichtverletzung« darstelle. Er betonte, dass Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) und Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) erst im Juni nach Brasilien gereist waren, um dort Pflegekräfte anzuwerben. Sein Mandant habe folglich auf eine schnelle Bearbeitung seines Antrags setzen können. Die Ausländerbehörde sei gehalten gewesen, »diesen politischen Willen wirksam umzusetzen«. Die Gegenseite tat diesen Hinweis als Polemik ab.

- Wie lief das Aufenthaltsgenehmigungsverfahren ab?

Der Antrag war am 17. April letzten Jahres gestellt worden. Der Mann enthielt schon deshalb nahezu alle erforderlichen Unterlagen, weil diese von der Ausländerbehörde bereits geprüft worden waren, als sich der Kläger wegen der Lehrstelle angemeldet hatte. Nun war lediglich zu klären, ob das Regierungspräsidium die Erlaubnis zur Führung der Berufsbezeichnung »Gesundheits- und Krankenpfleger« erteilte (hat sie) und ob der Pfleger für diesen Ausbildungsberuf einen Arbeitsvertrag vorweisen konnte (das tat er). Laut Kugler hätte die Bearbeitung der beiden Papiere nur wenige Minuten in Anspruch genommen. Die Prüfung dauerte im ersten Schritt aber schon 39 Tage, in denen nicht nur E-Mails zum Stand der Dinge unbeantwortet geblieben waren – ein bekannter Umstand, schließlich hat die Behörde selbst einmal von Zigtausend unbeantworteten Mails gesprochen. Und auch der Pfleger stand sich vergeblich in der langen Schlange vor der Behörde die Beine in den Bauch. Bewegung in den Fall kam offensichtlich erst, als Kugler beim Verwaltungsgericht eine Untätigkeitsklage eingereicht hatte.

Die Stellungnahme durch die Bundesanstalt für Arbeit – wegen des Mangels an Kranken- und Altenpflegern eigentlich eine entbehrliche Schleife, die in diesem Verfahren gezogen werden muss – ließ danach ebenfalls auf sich warten. Spätestens nach 14 Tagen hätte sich der Antrag automatisch erledigt, weil er nach Ablauf dieser Frist als genehmigt gilt. Aber auch danach sei nichts geschehen, trug der Verteidiger vor. Erst 24 Tage später erhielt der Pfleger eine Fiktionsbescheinigung – auf die Aufenthaltserlaubnis musste er sogar bis Ende Juni warten.

- Wie rechtfertigt sich die Stadt Stuttgart?

Die Rechtsbeistände der Stadt äußerten ihr Bedauern gegenüber dem Kläger, dessen Entscheidung, nach Deutschland zu kommen, man natürlich zu würdigen wisse. Sie beantragten aber dennoch, die Klage abzuweisen, und verweigerten anfangs jegliche Verhandlungsbereitschaft. Sie verwiesen auf eine »komplexe behördliche Entscheidung«, zu der »mehrere Stellen hinzuzuziehen sind«. Bei der Prüfung der beiden Unterlagen handele sich um eine »verwaltungsrechtliche Sachentscheidung und eine Einzelfallprüfung«, die vom Sachbearbeiter »manuell vorgenommen werden muss«. (GEA)